Hunderttausende geben Gemayel Geleit

Die Beerdigung des ermordeten libanesischen Ministers wird zu einer Demonstration der Stärke für das Regierungslager. Hisbollah setzt die angekündigten Massenproteste aus. Die UNO will nun auch den jüngsten Mordfall untersuchen

AUS BEIRUT KARIM EL-GAWHARY

Es war eine Machtdemonstration der libanesischen Regierung, die an die Zeiten der „Zedernrevolution“ erinnerte. Hundertausende Libanesen strömten gestern ins Zentrum der Hauptstadt Beirut, um dem am Dienstag ermordeten Industrieminister und christlichen Falange-Politiker Pierre Gemayel das letzte Geleit zu geben.

Mit ihren rot-weißen mit der Zeder geschmückten Nationalflaggen und großen Bildern Gemayels fanden sich die Menschen am Platz der Märtyrer ein, in unmittelbarer Nachbarschaft der St.-Georg-Kathedrale, in der die Trauerfeier stattfand. Der maronitische Kardinal Nasrallah Sfeir leitete die Zeremonie, zusammen mit der Familie Gemayels, dem französischen Außenminister und dem Chef der Arabischen Liga. Der schiitische Parlamentssprecher Nabih Berri, ein enger Verbündeter von Hisbollah, nahm ebenfalls teil.

„Wir wollen die Wahrheit“, hieß es auf vielen Transparenten. Mit dieser Parole hatten zahlreiche Libanesen nach der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik al-Hariri demonstriert. Immer wieder fanden sich auch Plakate, die Syrien der Täterschaft bezichtigen. Auf einigen war das Gesicht des syrischen Präsidenten Baschar Assad zu sehen mit der Bemerkung „Du kannst dir deinen Bürgerkrieg sonst wo hinstecken“.

Die Demonstranten nahmen auch Bezug auf den innerlibanesischen Konflikt zwischen der prosyrischen Opposition unter der Führung von Hisbollah und deren Chef, Hassan Nasrallah, sowie der von den USA unterstützten Regierung Fuad Sinioras. „Nasrallah, wir kommen!“, johlte eine Gruppe von jugendlichen Demonstranten.

Noch vor einer Woche hatte die Hisbollah zu Massenprotesten aufgerufen, um die Regierung zu stürzen. Doch gestern zeigte das Regierungslager seine Stärke. Durch den Mord an Gemayel ist der Libanon so polarisiert wie seit dem Bürgerkrieg von 1975 bis 1990 nicht mehr. Viele Libanesen fürchten, dass das Begräbnis nur die erste Runde von Massenprotesten beider Seiten darstellen könnte. Die Hisbollah setzte ihre Demonstrationen jedoch zunächst aus, „bis die Emotionen abkühlen“, wie es aus Hisbollah-Kreisen heißt. Dort wirft man der Regierung vor, den Mord an Gemayel politisch auszuschlachten.

Die Demonstranten am Platz der Märtyrer ließen jedenfalls keinen Zweifel daran, wen sie als Täter sehen. „Hisbollah und Syrien haben sich für den Mord an Gemayel zu verantworten“, meint der junge Demonstrant Alan Surbi. Er glaubt, dass jetzt alles nur noch schlimmer wird. „Beide Seiten werden auf die Straße gehen und sich gegenseitig umbringen“, prophezeit er. Als eine der wenigen auf dem Platz glaubt die Mathematiklehrerin Mona Ahmed an einen guten Ausgang. „Das internationale Tribunal wird die Verbrecher zur Verantwortung ziehen, und dann wird der Libanon endlich zur Ruhe kommen“, hofft sie.

Bereits am Abend vor dem Begräbnis hatte der UN-Sicherheitsrat einer Bitte der libanesischen Regierung entsprochen, bei der Aufklärung des Mords an Gemayel zu helfen. „Es gab keine Diskussion. Praktisch haben alle sofort zugestimmt“, sagte der peruanische UN-Botschafter und derzeitige Vorsitzender des Rats, Jorge Voto-Bernales. „Die Untersuchung kann praktisch morgen beginnen“, erklärte sein argentinischer Amtskollege César Mayoral. „Es wäre klug, sofort zu agieren, solange die Spuren frisch sind und bevor versucht wird, sie zu verwischen“, forderte US-Botschafter John Bolton. Die UNO untersucht unter Leitung des belgischen Staatsanwalts Serge Brammertz neben dem Hariri-Attentat bereits 14 weitere politische Morde im Libanon.