Polizistenmord: Angeklagter widerruft Geständnis

Im Prozess um die tödlichen Schüsse auf einen Polizisten in Neukölln erhebt der Hauptangeklagte schwere Vorwürfe. Bei der Vernehmung sei er geschlagen, getreten und beschimpft worden. Sein Mitangeklagter bestreitet jede Beteiligung. Kollegen des getöteten Polizisten sagen als Zeugen aus

Von Uta Falck

Der Prozess gegen die mutmaßlichen Mörder des Polizisten Uwe Lieschied begann mit einer Überraschung: Der Hauptangeklagte widerrief vor dem Landgericht gestern sein Geständnis. Der 40-Jährige erklärte, seine frühere Aussage bei der Polizei sei unter Druck zustande gekommen. Er sei geschlagen, getreten und beschimpft worden. Aus Angst und Übermüdung habe er schließlich alles gesagt, was die Vernehmer hören wollten, erklärte der in Hand- und Fußfesseln in den Gerichtssaal geführte Mann.

Hauptkommissar Uwe Lieschied war am 17. März dieses Jahres von zwei flüchtenden Handtaschenräubern nahe dem Volkspark Hasenheide in Neukölln angeschossen worden. Der 42-jährige Familienvater, der seit 14 Jahren als Fahnder im Rollbergkiez arbeitete, erlag vier Tage später seiner schweren Verletzung. Die Tat hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt; mehr als 7.000 Kollegen hatten sich nach Liescheids Tod an einem Trauermarsch beteiligt.

Die Anklage wirft den Angeklagten vor, am 17. März gegen 21.20 Uhr eine Frau bis zu ihrem Wohnhaus in der Neuköllner Flughafenstraße verfolgt zu haben. Dort habe der Ältere der beiden der 51-Jährigen ihre Handtasche entrissen, während der andere den Tatort gesichert habe. Die Männer hätten einen größeren Geldbetrag in der Tasche vermutet, erbeuteten jedoch nur 50 Euro, so der Staatsanwalt.

Anschließend seien die beiden Täter in Richtung Hasenheide geflüchtet. Dabei wurden sie von der Zivilstreife bemerkt, die Beamten wollten die Flüchtenden kontrollieren. Polizeihauptkommissar Lieschied stieg aus dem Dienstwagen, kurz hinter ihm lief Polizeiobermeister Sven B. Beide trugen schusssichere Westen. Lieschied habe den Flüchtenden zugerufen: „Jungs, bleibt mal stehen, Polizei!“, erinnert sich Sven B., der gestern als Zeuge vor Gericht aussagte.

Dann seien Schüsse gefallen. Fahnder Sven B. flüchtet sich hinter einen parkenden VW-Bus, dann sieht er seinen Kollegen zusammengekrümmt am Boden liegen und bemerkt dessen Verletzung über dem linken Ohr. Später finden die Ermittler acht Projektile, abgegeben aus einer halbautomatischen Waffe.

Kurz nach der Tat werden die geraubte Handtasche, ein Elektroschocker, Pfefferspray und Handschuhe mit Schmauchspuren gefunden – die DNA-Spuren an Tasche und Handschuhen und die von Schocker und Spray belasten die beiden Angeklagten, so der Staatsanwalt. Acht Tage nach der Tat verhaftet ein SEK-Kommando sie. Der jetzige Hauptangeklagte legt ein Geständnis ab, in dem er laut Staatsanwalt Details berichtet, die nur der Täter wissen kann.

Doch gestern widerrief der 40-Jährige dies und erklärte, das Geständnis wäre unter physischem und psychischem Druck und ohne anwaltliche Beratung zustande gekommen. Der Mitangeklagte stritt vor Gericht jede Beteiligung an der Tat ab. Sein Verteidiger verlas folgende Tatversion: Sein Mandant hätte kurz nach 21 Uhr in der Flughafenstraße zufällig den 40-Jährigen getroffen, dieser rief ihn zu sich heran. Dann sei der Hauptangeklagte in ein Haus gegangen und bald darauf mit gewechselter Kleidung wieder herausgekommen. Er sei dann schnellen Schritts Richtung Hasenheide gelaufen, sein Mandant sei ihm gefolgt. Er habe einen Elektroschocker und Pfefferspray bei sich gehabt, um sich vor gewalttätigen Arabern zu schützen, so der Anwalt.

Gestern wurden auch die beiden Kollegen des erschossenen Beamten als Zeugen gehört, die sichtlich aufgewühlt die Ereignisse jener kalten Märznacht schilderten. Beide beschrieben übereinstimmend einen kleinen, untersetzten und einen großen hageren Täter. Im Gerichtssaal erkannte Sven B. jedoch in den beiden Angeklagten nicht die Täter. Am 30. November wird der Prozess fortgesetzt.