Schnäuzer und Minipli

Natürlich getrennt touren die Kölner Kabarettisten Jürgen Becker und Wilfried Schmickler durch Nordrhein-Westfalen: Vorgeführt werden die monotheistischen Religionen – und Neonazis

Für Becker ist der Monotheismus ein „Hitzeschaden der Religionsgeschichte“Schmicklers Zunge ist schneller als die grauen Zellen seiner Zuschauer

VON JÜRGEN SCHÖN

Sie sind die Fixpunkte der WDR-„Mitternachtsspitzen“: Jürgen Becker leitet sie ein, moderiert, hat eigene Sketche. Wilfried Schmickler gehört mit „Aufhören!“ das lautstarke Schlusswort. Einmal in jeder Sendung sitzen die beiden Kabarettisten einträchtig zusammen auf der Bühne: Die Gesichter getarnt hinter dunklen Sonnenbrillen, dazu dicke Schnäuzer, Minipli-Perücken und kunstseidene Prolo-Trainingsanzüge, so interpretieren sie für sich und fürs Publikum die allgemeine Lage. In der vergangenen Woche feierten beide in Köln mit ihren neuen Solo-Programmen Premiere. Bald gehen sie – natürlich getrennt – auf Tournee. Deutschland kann sich freuen.

Becker hat sich in „Ja, was glauben Sie denn?“ die Religion vorgenommen. Es ist ein Parforceritt durch Glaubensgeschichte und -geschichten. Adam und Eva finden darin Platz, Goethe und die Sumerer, Reiner Calmund und Platon, Giordano Bruno und Darwin, Mohammed (symbolisiert durch ein Schild „Fotografieren verboten“) und seine Lieblingskatze, Königin Chlodhilde, Westfalen und Rheinländer. Mögen manche Verbindungen auch abenteuerlich klingen – letztlich kann man Becker glauben, dass alles irgendwie wissenschaftlich abgesichert ist (vorausgesetzt, man ist nicht gerade ein Kreationist). Die Entstehung der Welt ist danach einem Furz vergleichbar und der Monotheismus ein „Hitzeschaden der Religionsgeschichte“, die Auseinandersetzungen zwischen Juden, Christen und Moslems „Erbstreitigkeiten“. En passant werden Spitzen zum aktuellen Politgeschehen eingestreut – es hängt alles irgendwie mit Religion zusammen.

Becker kritisiert, aber immer mit Verständnis für die Schwächen seiner Mitmenschen. Er schwadroniert und kalauert, ist respektlos, lässt das Publikum singen (vorausgesetzt, es kennt kölsches Karnevalsliedgut), gibt dem Affen Zucker und sich selbst zwischendurch ein Bierchen (bloß kein Alt): eine höchst vergnügliche Schulstunde mit ausreichend Schautafeln.

Ganz anders „Zum Dritten“ von Wilfried Schmickler. Eine karg ausgestattete Bühne, der Scheinwerfer konzentriert sich auf den Solisten. Schmickler ist ein Moralist, der aber die Grenzwerte zur Moralinsäure nie überschreitet. Das zeigt einen klaren, ehrlichen Standpunkt, kann in seltenen Fällen aber auch zu Fehleinschätzungen des Gegners führen. So erfreut es das aufgeklärte – in der Regel politisch korrekte – Publikum sichtlich, wenn er führende Neonazis als „Nieten“ oder „Arsch mit Ohren“ bezeichnet und dies dank Computertricks auch bildlich beweisen kann. Den politischen Gegner lächerlich machen, ist legitim – nur: Dumm sind Hitlers moderne Jünger nicht, ihre Strategie in Ostdeutschland beweist es.

Dumm sind vielmehr all diejenigen, die vor diesem rechten Aufstieg die Augen verschließen, allen voran die Politiker. Die werden von Schmickler ausreichend mit messerscharfen Pointen zerlegt, ebenso Handybenutzer und Neu-Deutsch-Schwätzer, Schönheitschirurgen und Gammelfleisch-Metzger. Schmickler verlangt vom Publikum höchste Konzentration. Nur selten gewährt er ihm eine Verschnaufpause. Immer wieder ist seine Zunge atemberaubend schneller als die grauen Zellen seiner Zuschauer. Aus der politischen Realität leitet er verblüffende, aber ebenso realistische Folgen ab. Bei ihm bekommt der Schlachtruf der deutschen Fußballfans „Ohne Holland fahr‘n wir zur WM“ eine verblüffend neue Bedeutung.

Schmickler ist der empörte Intellektuelle im schwarzen Anzug und roten Pulli, Becker der gewitzte, volksnahe Welterklärer in Jeans und kariertem Hemd. Zwei höchst unterschiedliche Facetten des politischen Kabaretts, die keiner versäumen sollte. Wer nicht warten kann: Beckers neues Programm ist schon als Buch und CD auf dem Markt.

Tourdaten: www.wilfriedschmickler.dewww.juergen-becker-kabarettist.de