LESERINNENBRIEFE
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Wie kann ich den Rechtsstaat hacken?

■ betr.: „Der Innenminister sucht den Superbullen“, taz vom 10. 12. 10

Da habt ihr ja gleich auf Seite 1 einen Satz ausgegraben, der einem nur den Abend vermiesen kann. Vielleicht braucht es tatsächlich „private Computerclubs“, um das zu tun, was offensichtlich die Experten für unseren Rechtsstaat aus der Weimarer Republik nicht gelernt haben. Die „überhöhten theoretischen Missbrauchsszenarien“ sind genau das, was eigentlich bei jeder einzelnen innenpolitischen Entscheidung aufgestellt werden sollte. In besagten Computerclubs nennt man das eine Worst-Case-Analyse: Angenommen es wird jemand gewählt, der die ihm zur Verfügung stehenden staatlichen Instrumente benutzen möchte, um die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen – kann ihm dies gelingen oder nicht? Wie kann ich sozusagen den Rechtsstaat hacken? Was kann schlimmstenfalls mit einer Maßnahme angerichtet werden? Diese Frage, die permanent gestellt werden sollte, hat sich Schäuble nie gestellt und auch de Maizière scheint sie nicht zu stellen. Davon auszugehen, dass jeder, der die wachsende Macht staatlicher Instrumente irgendwann in Zukunft nutzen wird, wohlmeinender Demokrat ist, ist nicht naiv, es ist gefährlich. CHRISTIAN LEICHSENRING Bielefeld

„Tabubruch“

■ betr.: „Ein schöner Land“, taz vom 7. 12. 10

Ihr feiert euch im Vorwort der Ausgabe für eure Pluralität und seid gespannt auf „empörten Protest“. Dass ihr auf den ersten Seiten Norbert Bolz: „Der Eindruck der Invasion entsteht am ehesten bei Wirtschaftsflüchtlingen und beim Nachzug von Großfamilien“, und Thilo Sarrazin: „Man kann viel mehr als man glaubt. Die Japaner halten strikt an der Politik fest, dass sie keine Einwanderer haben wollen“, jetzt auch noch in der taz ihren Nützlichkeitsrassismus propagieren lasst, statt diesen Raum den vielen ungehörten, kritischen Stimmen in dieser Debatte zu geben, spricht für den fatalen Fehlschluss, den vermeintlichen „Tabubruch“ der Ideologiekritik vorzuziehen. Glückwünsch zur gelungenen Integration in den rassistischen Diskurs! SEBASTIAN MUY, Berlin

Glatte Lüge

■ betr.: „Die Atmosphäre ist total vergiftet“, taz vom 7. 12. 10

In dem Streitgespräch zwischen Erika Steinbach, Naika Foroutan, Neco Celik und Thomas Brussig bezeichnet sich Steinbach als Zwangsmigrantin und Vertriebene; und mit der Geschichte ihrer kranken Schwester versucht sie ihren Status als Vertriebene noch zu bekräftigen.

In der Tat ist das aber alles eine glatte Lüge. Denn sie ist keine Vertriebene, sondern wurde in Polen geboren. Ihr Vater war deutscher Wehrmachtssoldat, der im Generalgouvernement Polen während des Krieges als Angehöriger einer Besatzungsmacht eingesetzt war.

Dies ist allgemein bekannt, deswegen wundert es mich, dass die Moderatoren Daniel Bax und Jan Feddersen es nicht beanstandet haben.

ALENA WAGNEROVÁ, Saarbrücken

Dieses alte System ist beendet

■ betr.: „Ihr könnt euch niemals sicher sein“, taz vom 6. 12. 10

Grundtenor aller Kritiker von Wikileaks ist, dass geheime „Verhandlungen“ wichtige Bestandteile der Beziehungen der Länder untereinander sind, ohne die die Weltordnung gefährdet ist und sie schlimmstenfalls durch neue Kriege zerbrechen könnte. Die Heftigkeit und der Charakter der Kritik (wie das Schimpfen über einen Zug, der gerade ohne einen abgefahren ist) weist darauf hin, dass dieses alte System beendet ist und man gerade Macht verloren hat, man versucht aber, das alte System wieder zu etablieren, also den Zug in den Bahnhof zurückzubeordern, was natürlich außer Kim Yong Il niemand kann. Grundtenor aller Kritik ist auch, dass der Status quo der Weltordnung mit all den nun auch dem breiten Mittelstand bekannt gewordenen „Verhandlungen“ richtig und wichtig ist, einschließlich aller derzeit geführten Kriege, Ausbeutung, Hofberichterstattungsmedien, unterirdischen Bahnhöfe, dass Wikileaks böse sei und die alten Zustände weitergeführt werden müssten. THOMAS TIETZ, Bielefeld

Mehr der kaufmännische Gedanke

■ betr.: „Nichts als Gespenster“, taz vom 10. 12. 10

Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen. Schlimm ist es, wenn mann/frau über die eigene Behinderung Wissen mitbringt. Personen aus Wohnheimen, Lernbehinderte, Sprachbehinderte leiden hier besonders. Sie kosten Zeit, können sich nicht gut äußern. Sie haben keine Chance. Ich habe „nur“ das Postpoliosyndrom, einige Ärzte kennen noch Polio (Kinderlähmung), damit hat es sich. Mein Weg, den richtigen Arzt zu finden, war lang. Junge Ärzte mit diesem Wissen zu finden oder ihr Interesse zu wecken, ist fast unmöglich. Sich mit einem Patienten auseinanderzusetzen wird nicht gelernt. Manchmal frage ich mich, warum der Arztberuf gewählt wurde. Ist wohl mehr der kaufmännische Gedanke. INGRID PÜTZ, Baunatal