Neues Lernen? Noch nie gehört!

Die neueste Pisa-Studie macht selbst Politik ratlos: Die wichtigsten Akteure, die Lehrer, kennen neue Lehrmethoden nicht und wenden sie auch nicht an

BERLIN taz ■ Bisher lief die Veröffentlichung von Pisa-Studien so ab: Die Ergebnisse waren bescheiden – aber die politisch Verantwortlichen blieben cool. Das ist nicht gut, sagten sie stets, aber wir wissen, was zu tun ist.

Seit gestern gilt diese Regel nicht mehr. Jetzt heißen Hiobsbotschaften auch wirklich so. Das sind „erschütternde Ergebnisse“, sagte der schleswig-holsteinische Bildungsstaatssekretär Wolfgang Meyer-Heesemann (SPD) zu den neuen Pisa-Ergebnissen – und sein bayerischer Kollege Josef Erhard ergänzte: „Das macht mich ratlos. Was muss ich denn noch tun, damit die das verstehen.“

Gemeint waren damit nicht die Schüler, sondern die Lehrer. Denn bei den Paukern sind noch weniger Lernfortschritte festzustellen als bei ihren Eleven. Das konkrete Ergebnis, das die Vertreter der Kultusminister so irritierte, war dieses: Zwischen 50 und 80 Prozent der Lehrer sind bestimmte aktive und partizipative Lernformen der Mathematik gänzlich unbekannt. Ebenfalls über 80 Prozent der Lehrer gaben an, dass sie mit individuellen Arbeitsplänen „selten oder nie“ arbeiten. Der Leiter der Pisa-Studie, Manfred Prenzel vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften, sagte: „Der Unterricht in Mathematik ist immer noch stark lehrerorientiert und gleichförmig. Erweiterte Lernformen haben kaum Einzug in die Unterrichtsrealität gefunden.“

Dieses Ergebnis ist in der Tat eine mittleres Debakel – auch für die Politik. Seit beinahe zehn Jahren ist mit der Mathematikstudie Timss bekannt, dass es erhebliche Probleme in deutschen Matheklassen gibt, die von den Lehrern ausgehen. Es wurde auch viel unternommen, es gibt etwa das Modellprojekt Sinus für das moderne Mathematiklernen. Nur sind die Resultate in der Breite bescheiden, auch bei den Leistungen der Schüler.

Die neue Pisa-Studie mit dem aparten Namen „Pisa 2003 International Plus“ hat im Kern folgende Ergebnisse zutage gefördert: Vierzig Prozent der Zehntklässler können in Mathematik kaum Lernfortschritte verzeichnen, 20 Prozent von ihnen büßen sogar mathematische Kompetenzen ein. In den Naturwissenschaften sieht es ähnlich aus. Auch hier werden 20 Prozent der Schüler derzeit schlechter. „Wir sind davon ausgegangen, dass Schüler etwas dazulernen. Warum machen wir sonst Schule?“, fragte Manfred Prenzel bestürzt.

Die jüngste Pisa-Auswertung, die sich auf rund 6.000 deutsche SchülerInnen und 230 Schulen beschränkte, macht die Fachleute deswegen so nervös, weil deren Anlage ganz neu ist. Die Forscher fragten ein Jahr nach dem Pisa-Test 2003 dieselben Schüler noch einmal – das heißt, es gibt eine erste Längsschnittuntersuchung aus der Pisa-Reihe. Im Schnitt nahmen die gemessenen Kompetenzen um 25 Punkte zu.

Besonders erfolgreich, so ein Ergebnis, waren dabei aktive Lehrkräfte mit offenem Unterrichtsstil. So genannte „disziplinorientierte Lehrkräfte“ hingegen bewirkten schlechtere Ergebnisse.

Pisa 2003 Plus hat allerdings einen Schönheitsfehler – sie schloss Hauptschüler aus, weil es angeblich zu wenig zehnte Klassen gab. CHRISTIAN FÜLLER

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