„Leistungen sichtbar machen“

Der Altertumswissenschaftler Hans-Joachim Gehrke sagt, welche Erwartungen er an das kommende Jahr der Geisteswissenschaften knüpft und warum dringender Handlungsbedarf besteht – vor allem für die kleinen Fächer

taz: Das Bundesforschungsministerium finanziert 2007 das „Jahr der Geisteswissenschaften“. Kann solch eine Kampagne nachhaltig wirken?

Hans-Joachim Gehrke: Zum einen muss in der Spitzenforschung etwas passieren. Die Deutsche Forschungsgesellschaft und der Wissenschaftsrat haben ja bereits neue Förderkonzepte vorgeschlagen, die den Bedürfnissen geisteswissenschaftlicher Arbeit entgegenkommen. Dazu gehört unter anderem die Einbeziehung auswärtiger Wissenschaftler, sogenannter Fellows. Anders als in den Naturwissenschaften ist der Bedarf an Großprojekten gering. Aber neue Formen der Vernetzung müssen aufgebaut werden.

Im „Einsteinjahr“ 2005 wurde auf Breitenwirkung gesetzt. Kann eine Kampagne dieser Art auch bei den Geisteswissenschaften funktionieren?

Das sollte sie dringend! Hier liegt nämlich das zweite Problem. Die eigenen Leistungen müssen sichtbar gemacht werden. Gerade in Zeiten der Globalisierung gewinnen interkulturelle Kompetenzen an Bedeutung. Wer mit Indien und China Handel treibt, sollte nicht an Lehrstühlen zu Sinologie und Sanskrit sparen. Außerdem sind Museen, Tourismus und Verlage Wirtschaftsfaktoren, die ohne Geisteswissenschaften so gar nicht existieren würden. Dafür muss ebenfalls Bewusstsein geschaffen werden. „Die lange Nacht der Wissenschaften“ in Berlin ist da schon ein richtiger Schritt. Ein „Jahr der Geisteswissenschaften“ sollte so etwas konsequent ausbauen.

Die Krise der Geisteswissenschaften ist zum Schlagwort geworden. Aber gibt es die beschworene Krise überhaupt?

Die hiesige Forschung kann sich sehen lassen. Andererseits ist das Betreuungsverhältnis von den Professoren zu den Studierenden katastrophal. Die Finanzierungsschlüssel sind so zugeschnitten, dass gerade die sogenannten kleinen Fächer unterfinanziert sind. Viele exzellente Geisteswissenschaftler gehen deshalb ins Ausland. Wir brauchen mehr Flexibilität statt des Korsetts von Beamtenrecht und Tarifverträgen. Bleiben Reformen aus, droht vor allem ein Aussterben der kleinen, der sogenannten Orchideenfächer.

INTERVIEW: LARS KLAASSEN

Hans-Joachim Gehrke ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats der Förderinitiative Geisteswissenschaften der Deutschen Forschungsgemeinschaft