Ein verkrampftes Verhältnis

DAZUGEHÖRIGKEIT Daniel ist ein 18-jähriger Jude und in Hamburg aufgewachsen. Die Reaktionen auf seine Religion verwehren ihm, in Deutschland ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben

Auch beim Fußball begeistert Daniel das Gemeinschaftsgefühl und nicht der Patriotismus

Daniel ist 18 Jahre alt, er ist in Deutschland aufgewachsen und wenn er darüber nachdenkt, wer er ist und was er tun will, dann gibt es einen Aspekt, den es bei seinen Altersgenossen selten gibt. Daniel ist Jude. „In Deutschland gibt es zwei Extreme: Entweder die Deutschen haben ein total verklemmtes Verhältnis zum Judentum oder sie finden es ganz toll, dass du jüdisch bist“, sagt Daniel. Die Deutschen seien entweder beschämt oder total euphorisch. „Und du, du bist gefangen.“

An den deutschen Schulen hat es Daniel als Kind nicht leicht. Er wird gehänselt und ausgegrenzt. Obwohl sich daran viel geändert hat, seit er die internationale Schule in Hamburg besucht. „Man wird durch dieses verkrampfte deutsch-jüdische Verhältnis so aufgerieben, dass man das dann irgendwann selber verkörpert.“ Bei ihm wächst das Bedürfnis nach einem Gefühl von Gemeinschaft.

Mit 16 Jahren hatte Daniel das, was er selbst als „religiöse Phase“ bezeichnet: Er begibt sich auf eine Suche nach Gott. Nach einem halben Jahr merkt er, dass das Beten ihm nicht wirklich den „Flow“ gibt und nur bedeute, viel „rumzulatschen und mit alten Männern rumzuhängen“. Er ist ganz ernst, als er das sagt.

Daniel besucht sämtliche jüdischen Veranstaltungen, die Hamburg zu bieten hat. Doch die Veranstaltungen mit den orthodoxen Rabbinern sind ihm zu konservativ. Und den Veranstaltungen liberaler Prägung mit ihren vielen Konvertiten fehle es an Ernsthaftigkeit: „Da sitzt du dann und findest das alles gar nicht toll zwischen den ganzen Deutschen, die aus irgendeinem Schuldgrund konvertieren wollen.“

David beschließt, sich mit seiner Familiengeschichte zu beschäftigen. Er findet heraus, dass ein Großteil seiner jüdischen Vorfahren in der Ukraine begraben liegt. Es fällt ihm leicht, sich für die Forschung nach den eigenen Wurzeln zu motivieren, „gerade weil man in Deutschland das Gefühl hat, es würde etwas fehlen“. Mit dem Deutschtum könne er sich nicht identifizieren. „Dazu kommt der schlechte Umgang mit der Shoa“, sagt Daniel.

Sein nächstes Projekt ist die Antifa, weil er davon ausgeht, dass Jüdisch-Sein und der Antifaschismus zusammen gehören. Bei der Antifa habe er dann zum ersten Mal auch so etwas wie Gemeinschaft erfahren. Sich gemeinsam gegen Nazis zu engagieren sei eine ganz tolle Erfahrung gewesen, sagt Daniel. Vor allem, weil seine jüdische Identität nie als Hindernis im Raum gestanden habe.

Die Frage, ob viel über die israelische Politik diskutiert wurde, verneinte er. Daniel selbst ist der israelischen Politik gegenüber kritisch eingestellt. Es sei auch ein Problem der Deutschen, dass sie immer das Jüdisch-Sein mit der israelischen Politik gleichsetzen würden.

Gibt es denn überhaupt etwas, mit dem er sich in Deutschland identifizieren könne? „Fußball!“ Keine Frage. Seine Augen leuchten. „St. Pauli ist super, HSV ist scheiße.“ Klare Sache. Und auch bei der Weltmeisterschaft habe er zu Deutschland gehalten. Die Fahne habe er nicht geschwenkt, aber ein bisschen Rumgrölen sei schon drin gewesen. „So wird man mehr als Teil der Gesellschaft gesehen.“ Auch hier begeistert ihn das Gemeinschaftsgefühl und nicht der Patriotismus.

Im Frühling ist er fertig mit der Schule, und was dann? Er überlegt, auszuwandern und die israelische Staatsbürgerschaft anzunehmen. Dabei gehe es ihm nicht um den Nationalstolz oder die Politik, sondern darum, „dieses Gefühl von Gemeinschaft zu haben, das es in Deutschland nicht gibt. Alle Menschen sind jüdisch und das ist normal.“

Der Aufenthalt in Israel könnte zu einer Orientierungshilfe in seinem Leben werden. Was er sich davon erhofft, ist ihm ganz klar: „Danach einfach rauszugehen und sagen: ‚Jetzt weiß ich, was ich will!‘“LEA ZIEROTT