Die Ausweitung der Verwahrung

STRAFRECHT Der Bundestag beschließt die Reform der Sicherungsverwahrung. Was die Praxis des Wegsperrens einschränken sollte, führt nun zur Ausweitung

FREIBURG taz | Auch ohne das Straßburger Urteil hätte der Bundestag eine grundsätzliche Reform der Sicherungsverwahrung beschlossen. So war es schon im schwarz-gelben Koalitionsvertrag vereinbart. Die CDU/CSU wollte vermeintliche Sicherheitslücken schließen. Die FDP wollte den Ausnahmecharakter der Verwahrung unterstreichen.

Mehr als bisher soll die Sicherungsverwahrung auf Gewalt- und Sexualtäter konzentriert werden. „Es kann nicht sein, dass gewaltlose Vermögensdelikte zum Anlass für eine Sicherungsverwahrung nach Verbüßung der Strafe genommen werden“, gab Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) als Vorgabe aus. Im ersten Anlauf hatte die Ministerin das selbst gesteckte Ziel allerdings verfehlt, wie Vertreter aller Fraktionen im Oktober feststellten.

Reine Eigentums- und Vermögensdelikte können künftig nicht mehr zu Sicherungsverwahrung führen. Die Verwahrung bleibt aber über ihren Kernbereich hinaus möglich bei Erpressung sowie schweren Drogen- und Staatsschutzdelikten. Früher war Sicherungsverwahrung gegen Seriendiebe und -betrüger üblich. Zuletzt saßen aber nur noch 7 Prozent der Betroffenen wegen gewaltloser Eigentums- und Vermögensdelikte in der Verwahrung.

Die 2004 bundesweit eingeführte nachträgliche Sicherungsverwahrung wird abgeschafft. Künftig kann die Verwahrung also nur noch im Strafurteil angeordnet oder vorbehalten werden. Eine Anordnung erst während der Haft ist dann nicht mehr möglich. Das war die zentrale Forderung von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Sie nahm damit eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vorweg, mit der in den kommenden Wochen gerechnet wird. In der Praxis lief die Vorschrift auch weitgehend leer. Trotz vieler Anträge ordneten die Gerichte nur in etwa zwei Dutzend Fällen nachträglich die Verwahrung an.

Die CDU/CSU trägt die Abschaffung der nachträglich angeordneten Verwahrung nur mit, weil gleichzeitig die vorbehaltene Verwahrung massiv ausgeweitet werden soll. Dabei wird die Sicherungsverwahrung im Strafurteil noch nicht angeordnet, sondern nur angedroht. Grüne und Linke befürchten, dass dies die Hemmschwelle zur Verhängung von Sicherungsverwahrung senkt, vor allem weil nun die Verwahrung auf diesem Wege auch schon gegen Ersttäter verhängt werden kann. Bisher waren ein oder mehrere Rückfälle erforderlich. Auch der Hang zu Straftaten muss hier nicht mehr festgestellt werden. Dies könnte zu einem starken Anstieg der Zahl der Sicherungsverwahrten führen, hängt aber natürlich von der konkreten Praxis der Gutachter und Gerichte ab.

Die Neuregelung soll nur für künftige Taten gelten. Wer derzeit mit nachträglich angeordneter Sicherungsverwahrung einsitzt, wird also nicht entlassen, obwohl dieses Instrument jetzt abgeschafft wird. Die Entlassung könnte dann aber die Folge des erwarteten Straßburger Urteils sein. Der Bundestag beschloss die Reform jetzt mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und SPD. Dagegen stimmten Linke und Grüne. Die Altfallregelung (siehe oben) ist Teil des Reformpakets. Die Neuregelung der Sicherungsverwahrung ist wohl das wichtigste rechtspolitische Reformprojekt dieser Wahlperiode.

CHRISTIAN RATH