Ende einer Klettertour

Polizisten holen Mario M. vom Dach des Dresdener Gefängnisses. Dem Justizminister ist der Vorfall „peinlich“

DRESDEN taz ■ Nach dem zwanzigstündigen Spaziergang, den der geständige Vergewaltiger der 13-jährigen Stephanie vor den Augen von Polizei und Justiz auf dem Gefängnisdach unternommen hat, häufen sich die Vorwürfe gegen Justizminister Geert Mackenroth (CDU).

Mit expliziten Rücktrittsforderungen hielt sich die Opposition zwar zurück, sparte aber nicht an Kritik. Der Strafvollzug in Sachsen sei der Lächerlichkeit preisgegeben worden, meinte der Linkspartei-Rechtspolitiker Klaus Bartl. „Der Fall schreit nach personellen Konsequenzen“, kommentierte der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi, verlangte aber zunächst detaillierte Aufklärung. Die sagte Mackenroth bis Mitte nächster Woche zu. Dann muss er dem Rechtsausschuss des Landtages Rede und Antwort stehen. Einen Rückritt schloss Mackenroth dann nicht aus, wenn er für Versäumnisse in der Justizvollzugsanstalt die Verantwortung übernehmen müsse. „Ich klebe nicht an meinem Stuhl“, sagte er.

20 Stunden spazierte der mutmaßliche Vergewaltiger Mario M., von Kameras verfolgt, auf dem Dach des Dresdener Gefängnisses. Erst gestern Morgen konnte er zur Aufgabe bewegt werden. Bei einem Hofgang am Mittwoch war er seinen Bewachern entwischt und an Fenstergittern auf das Dach geklettert. Eine Flucht war von dort nicht möglich. Bereits am Montag hatte der Angeklagte zu Prozessbeginn im Dresdner Landgericht für Aufsehen gesorgt. Während der Verlesung der Anklage sprang er plötzlich auf und konnte nur von mehreren Beamten überwältigt werden.

Justizminister Mackenroth sprach gestern von einem „peinlichen Vorgang für mich und die Justiz“. Er verstehe die Erregung der Eltern des missbrauchten Kindes. Deren Anwälte hatten als einzige bislang Rücktrittsforderungen erhoben.

Nach bisherigen Erkenntnissen gibt es für eine Schuld Mackenroths kaum Anhaltspunkte. M. war seinen Bewachern offenbar athletisch überlegen. Für ihn existierte nach Angaben von Anstaltsleiter Ulrich Schwarzer zwar bereits ein verschärftes Sicherheitsprogramm. Eine Fesselung innerhalb der Anstalt könne jedoch nur ein Gericht anordnen. Diesen Antrag habe er inzwischen gestellt. Mackenroth bezeichnete die Kletterpartie als „irrational“ und „nicht vorhersehbar“. Der Fall Stephanie hat sowohl wegen der Brutalität des Täters als auch wegen der Fahndungspannen bundesweit Aufsehen erregt. Sechs Wochen hielt M. das 13-jährige Kind gefangen. Weil der vorbestrafte pädophile Mario M. wegen mangelhaftem Datenabgleich aus dem Fahndungsraster der Polizei fiel und lange unentdeckt blieb, fordern die Eltern von Stephanie inzwischen Schmerzensgeld vom Freistaat. MICHAEL BARTSCH