Braucht Deutschland die Bundeswehr im Inneren?
JA

VERFASSUNG Die Polizei ächzt unter der Belastung durch die Terrorwarnungen. Und schon erheben sich Stimmen, die den Einsatz der Armee im Inland fordern

Die sonntazfrage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagnachmittag. Wir wählen interessante LeserInnenantworten aus und drucken sie in der nächsten sonntaz.

taz.de/sonntazstreit

Klaus Schlie, 56, CDU-Politiker und seit 2009 Innenminister in Schleswig-Holstein

Wenn Terroristen Schiffe kapern, Flugzeuge als Waffen einsetzen oder gar mit ABC-Waffen angreifen, dann kann eine Lage eintreten, in der die Polizei die Hilfe der Bundeswehr braucht. Oder wie sonst sollten wir uns wehren? Diese bedauerlicherweise durchaus realistischen Szenarien können rechtlich einwandfrei geregelt werden. Amtshilfe heißt das Stichwort. Dazu muss eine verfassungsrechtliche Grundlage geschaffen werden. Die Bundeswehr erhält dadurch keine eigenen erweiterten Zuständigkeiten. Sie unterstützt die Polizei dort, wo ihr die notwendigen Fähigkeiten und Einsatzmittel zur Abwehr einer bestimmten Gefahr fehlen. Die Alternativen wären eine paramilitärisch aufgerüstete Polizei oder ein fatalistisches „Was soll’s?“ als Reaktion auf terroristische Bedrohungen aus der Luft oder auf See. Beide Alternativen will niemand. Was wir brauchen, sind Einsicht in Notwendigkeiten, politischer Wille, mehr Pragmatismus und weniger Ideologie, um zu angemessenen Lösungen zu kommen.

Klaus Jansen, 55, Vorsitzender des Bundes Deutscher Kriminalbeamter

Das Zynische ist doch: Wenn es zu einem Anschlag kommt, dann darf die Bundeswehr zwar hinterher beim Aufräumen helfen, an der Prävention aber darf sie sich nicht beteiligen. Ich glaube, wenn hier tatsächlich etwas passiert, werden Bundestag und Bundesrat schnell zu einem Entschluss kommen. Ich sehe schon, dass meine Argumente die Gefahr des Missbrauchs bergen. Trotzdem halte ich daran fest: Unsere Beamten sind erschöpft, die Wahrscheinlichkeit, dass dadurch Fehler gemacht werden, ist hoch. Im Falle eines Anschlags haben wir keine Reserven mehr, auf die wir zurückgreifen können. Wir befinden uns als Polizeiapparat in einer Übergangsphase, bis wir zeitgemäß aufgestellt sind, müssen wir pragmatisch überlegen, wie wir der veränderten Gefahrenlage begegnen können. Bei einem Anschlag kann es zu kriegsähnlichen Situationen kommen. Selbstmordattentäter sind häufig militärisch ausgebildet, manche kriegserprobt. Mit dieser Art von Tätern hat die Polizei praktisch keine Erfahrung. Die Terroristen werden auch ganz anders bewaffnet als die Polizei, nämlich militärisch mit AK 47 und Handgranaten. Da herrscht eine klare Asymmetrie in der Bewaffnung. Deutschland braucht die Bundeswehr im Inneren nicht, ich möchte sie auch dort nicht, aber die Lage ist derzeit so, dass die strikte Trennung von äußerer und innerer Sicherheit nicht mehr so einfach ist. Wir haben hier in Deutschland sehr oft einfach Schwein gehabt.

Norbert Geis, 71, ist CSU-Innenexperte und sitzt für die Unionsfraktion im Bundestag

Im Falle eines terroristischen Anschlags halte ich den Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben für richtig. Die Sorge für die innere Sicherheit ist zuallererst Aufgabe der Polizei. Das Grundgesetz sieht jedoch bei einer Katastrophe, im Spannungs- und Verteidigungsfall und im Falle des inneren Notstandes unter bestimmen Voraussetzungen den Einsatz der Bundeswehr vor, um die Polizei bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen. Bei Terrorangriffen kann sehr schnell ein solcher Notstand entstehen, der unsere freiheitliche Ordnung bedroht und durch die Polizei allein nicht abgewehrt werden kann. Die Bundeswehr kann dann zum Schutz bestimmter Objekte eingesetzt werden. Nach meiner Auffassung ist dies aber zu wenig. Durch Terror können Gefahrenlagen entstehen, in denen ein Einsatz der Bundeswehr im Inland in größerem Umfang als nur zum Objektschutz möglich sein sollte. Dazu wäre eine Ergänzung der Verfassung notwendig, die derzeit an der Ablehnung der Opposition scheitert. Offenbar muss erst eine so schwerwiegende Gefahrenlage entstehen, dass weite Teile unseres öffentlichen Lebens lahmgelegt werden, bis es zu einem Sinneswandel kommt.

NEIN

Hans-Peter Bartels, 49, ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Verteidigungsexperte

Anders als oft angenommen, gibt es im Grundgesetz ein Notstandsrecht. Danach „kann die Bundesregierung“ unter besonderen Umständen „Streitkräfte zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen.“ (Art. 87 a). Der Einsatz der Bundeswehr im Inneren wurde damit vor mehr als 40 Jahren verfassungsrechtlich geregelt. Niemand muss so tun, als ob es da eine Lücke gebe. Und niemals seither mussten wir auf diese letzte Hilfe zurückgreifen, auch nicht auf dem Höhepunkt des RAF-Terrors 1977. Wenn nicht eine Gefahr für den „Bestand“ der Republik (Art. 91) abzuwehren ist, liegt das Gewaltmonopol im Inneren allein bei der Polizei. Dass dort Personal abgebaut wird, sollte nicht zu einer Verfassungsfrage werden. Die Bundeswehr taugt nicht als Lückenbüßer: Nicht weil sie schrumpft, sondern weil eine Anschlagswarnung kein Anlass zur Ausrufung des Staatsnotstands ist.

Ulrich Kirsch, 59, ist Oberst des Heeres und Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes

Auch angesichts der Terrorgefahr ein klares Nein. Die Bundeswehr ist für eine Rolle als Hilfspolizei nicht ausgebildet. Was sollen etwa 2.000 Feldjäger der Bundeswehr ausrichten angesichts einer Gesamtzahl von rund 260.000 Polizisten bei Bund und Ländern? Sie sind genau für die Aufgaben bei der Terrorbekämpfung ausgebildet. Zudem hat die Bundeswehr mit Auslandseinsätzen, Landesverteidigung, Pirateriebekämpfung, Cyberwar und der Strukturreform genug Aufgaben. Das Grundgesetz bietet schon jetzt ein abgestuftes System für den Einsatz im Inneren – bis zum bewaffneten Einsatz bei einem besonders schweren Unglücksfall. Sie braucht keinen zusätzlichen Auftrag. Lieber ausreichend Polizisten einstellen, statt nach der Bundeswehr zu rufen!

Paula Riester, 26, ist Juristin und grüne Kommunalpolitikerin in Kreuzberg Die Bundeswehr hat im Inneren nichts zu suchen! Als Aktivistin gegen Castortransporte, Nazis und G-8-Gipfel habe ich in den letzten Jahren schon oft erlebt, wie martialisch Polizeieinsätze sein können. Einige meiner Bekannten beteiligen sich aus Angst davor nicht an Protesten. SoldatInnen und Tornados verschärfen die Einschüchterung durch den Staat und führen zu einer inakzeptablen Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Deshalb klage ich mit anderen gegen den Einsatz von Tornados, die Protestcamps beim G-8-Gipfel 2007 aufnahmen. Die Trennung von Polizei, Geheimdiensten und Militär wurzelt zudem in den schrecklichen Erfahrung des Dritten Reiches. Daran darf nicht gerüttelt werden!

Konstantin Wecker, 63, ist Musiker, Komponist Schauspieler und Autor

Angst ist mehr als ein schummeriges Gefühl. Angst ist ein Herrschaftsinstrument. Millionen BürgerInnen hat man mit Hartz IV die Existenzangst als Lebensgefühl verpasst. Die Angst vor dem Fremden wird durch Sarrazin geschürt. Und nun die kollektive Todesangst! Die aktuelle Terrorhysterie ist nichts als eine Einschüchterungsstrategie. Und ein billiger Vorwand, den staatlichen Repressionsapparat zu mobilisieren. Jetzt soll also die Bundeswehr die Reichen vor dem Unmut der Armen schützen, weil spätestens seit Stuttgart 21 klar ist: Nicht nur die Linken lassen sich diese Verfilzung aus Wirtschaft und Politik nicht mehr gefallen. Sollen sie eine weniger menschenverachtende Politik machen, dann brauchen sie keine Bundeswehr. Nicht innen und nicht außen.