Vom Bock zum Liebling

Clemens Fritz scherzte nach dem Spiel, er habe das Drehbuch für diesen Nachmittag geschrieben. Er meinte damit, dass sich die Ereignisse bei Werder Bremens 2:0-Sieg gegen Hertha BSC genauso zugetragen haben, wie sie sich ein fantasiebegabter Mensch ausgedacht hätte, um das das Publikum zu unterhalten: bester Mann auf dem Platz, zwei Tore, eins davon quasi mit dem Schlusspfiff – was hätte man man mehr erwarten können vom letzten Heimspiel, das Aaron Hunt nach 13 Jahren bei Werder absolvierte? Vielleicht die Anwesenheit jenes Trainers, der Hunt zu dem gemacht hat, was er ist? Voilà, auch der war da: Thomas Schaaf, mitsamt der Meistermannschaft von 2004.

Doch Aaron Hunts Laufbahn bei Werder hatte nicht nur ein perfekt inszeniertes Finale, sondern den Plot für einen ganzen Film: Der handelt von einem schüchternen, heimwehgeplagten Fußballtalent aus dem Harz. Von einem, der zwar mit einem genialen linken Fuß gesegnet ist, sich aber auch leicht verunsichern lässt. Der lange braucht, bis er seine Leistungen konstant bringt, und immer wieder als ewiges Talent abgetan wird. Dazu Berichte über nächtliche Eskapaden, eine manchmal etwas laxe Körperhaltung – schon hat das Publikum einen dankbaren Sündenbock gefunden. Und auf dem ruht – nachdem Mesut Özil 2010 Werder verlässt – alle kreative Verantwortung im Mittelfeld.

Als es bergab geht für den Verein, steht für das Publikum der Schuldige fest, das Hunt-Bashing treibt auf seinen Höhepunkt zu. Aber wie in jedem guten Film folgt nun die Schlüsselszene: Alles ändert sich, weil der Held endlich handelt. In Hunts Fall war es das Spiel gegen den SC Freiburg am Anfang der Saison 2011/2012: Da schnappte er sich in der 87. Minute beim Stand von 3:3 den Ball zum Elfmeter. Ausgerechnet er, dem hier seit Langem nicht der kleinste Fehltritt mehr verziehen wird, hat den Mut, über Sieg und Niederlage zu entscheiden. Und – er trifft.

„Man muss als Leistungsträger in so einer Situation antreten“, sagte Werders damaliger Sportchef Klaus Allofs, der wie Thomas Schaaf Hunt seit der B-Jugend kennt und immer auf seinen Durchbruch vertraut hat. In den Abstiegskämpfen der vergangenen beiden Jahre wurde Hunt zu dem Spieler, an dem sich die anderen aufrichten konnten. Das hat ihn reifen lassen, auch persönlich. Das neue Vertragsangebot von Werder hat der 27-Jährige abgelehnt, woanders kann einer seiner Güte im Augenblick mehr verdienen. Noch steht er allerdings ohne neuen Verein da. Hat Hunt sich verpokert?

Bei Werder wird er eine große Lücke hinterlassen. Keiner musste sich den Respekt des Publikums so hart erarbeiten – umso größer ist der nun.  RLO