Vom Mentee zur Mentorin in einem Jahr

Die Bankerin Ina Malinowski nimmt an dem Programm „Cross-Mentoring“ teil. Mit Hilfe ihres Mentors, eines Ingenieurs, plant sie ihre Karriere. Wie viele Frauen, die sich als Mentee bewerben, könnte sie in ihrer jetzigen Position genau so gut als Mentorin wirken – im nächsten Jahr wird sie dieses tun

von Ralf Götze

Als Ina Malinowski vor einem Jahr zum ersten Mal von „Cross-Mentoring“ las, dachte sie als erstes an eine neue Trendsportart. „Eine Walking-Gruppe“, erinnert sich die sportbegeisterte Bankerin. Doch schnell war klar, dass sich hinter dem Begriff etwas anderes verbirgt. Erfahrene Mentorinnen und Mentoren in Führungspositionen unterstützen Ein- und Umsteigerinnen – Mentees genannt. Der Zusatz „Cross“ ergibt sich daraus, dass die Beteiligten aus verschiedenen Branchen kommen.

„Ich bin eher zufällig auf das Projekt gestoßen“, sagt die 42-Jährige, „aber ich wusste sofort, das ist etwas für mich.“ Als direkt dem Vorstand der Bremer Landesbank unterstellte Referentin qualifizierte sie sich klar als Mentorin. Umso erstaunter war die Projektorganisatorin Ulrike Daldrup vom Expertinnnen-Beratungsnetzwerk (ebn), als Malinowski wegen einer Mentee-Rolle anfragte.

„Das ist kein Einzelfall. Ich habe gleich mehrere Frauen, die sich als Mentee bewerben, obwohl ich sie eigentlich als Mentorin einstufen würde“, sagt Daldrup. „Im Gegensatz zu Männern verkaufen sich Frauen häufig unter Wert.“ Das merke sie auch bei ihren Gesprächen zu Gehaltsvorstellungen. Wenn sich Frauen wie Ina Malinowski als Mentee bewerben, versucht Daldrup sie umzustimmen, meistens mit Erfolg. Doch die Bankerin blieb bei ihrer Entscheidung. Sie sah sich als eine, die Rat sucht, anstatt ihn zu geben. „Ich bin zufrieden mit meiner Position, aber soll ich mich damit jetzt zufrieden geben?“, lautete ihre drängende Frage. Und mit wem sollte sie darüber reden? Mit den Vorgesetzten, die vielleicht später über eine Beförderung entscheiden müssen, ArbeitskollegInnen, die gegebenenfalls mit ihr konkurrieren, oder Freunden und Verwandten, die ihr zwar Mut machen aber nicht ihre Lage objektiv einschätzen können? Einen sachlichen Blick versprach sie sich daher von ihrem zugewiesenen Mentor: „Friedrich“ – nach einer kurzen Pause schiebt Malinowski der Form halber den Nachnamen hinterher – „Rüppel“.

Seit Beginn des Programms vor acht Monaten kennt sie den Ingenieur, der bald in Vorruhestand geht. Trotz des persönlichen Umgangstons liefen die monatlichen Gespräche sehr professionell ab, erzählt sie. Zuerst wurden Regeln vertraglich vereinbart, für jedes Treffen gibt es Tagesordnungen und normalerweise wird im Büro geredet. „Wir haben es schon einmal in Lokalen versucht, aber das ging nach hinten los“, erinnert sich Malinowski. „Irgendwie wurden wir immer in den wichtigsten Gesprächssituationen gefragt, was wir bestellen wollten.“ Über Telefon laufen nur Kontrollanrufe durch den Mentor. „Wir vereinbaren konkrete Schritte, und er wacht darüber, dass mein innerer Schweinehund nicht siegt.“

Solche eine Form der selbst gewählten Kontrolle ist von Projektleiterin Daldrup erwünscht. MentorInnen sollen sich zwar als UnterstützerInnen sehen, aber nicht als gnädige Gönner und Gönnerinnen. Davor schütze der „Cross“-Gedanke: Beim Zusammenführen von Menschen aus unterschiedlichen Branchen kann zumindest kein Fachwissen-Gefälle entstehen. „Gerade bei Männern gibt es Besserwissertypen“, sagt Daldrup, „die sortiere ich im Vorfeld aus.“

Für die promovierte Pädagogin ist Mentoring ein Geben und Nehmen. „Eine Prise Idealismus gehört natürlich schon dazu“, sagt Mentor Holger Sulz, aber er komme darüber auch mit Menschen in Kontakt, die er wahrscheinlich nie auf dieser Ebene kennengelernt hätte. Schließlich gibt es nicht nur Treffen unter vier Augen, sondern auch Stammtische und Workshops mit der ganzen Gruppe.

Dies wurde nach dem Pilotprojekt im laufenden zweiten Durchgang umgesetzt. Mit Erfolg, die für ein Jahr zusammengestellten zwölf Tandems laufen auch nach Monaten noch rund – unabhängig davon, ob es sich um gleichgeschlechtliche oder gemischte Doppel handelt. Gefahr drohe vor allem dann, wenn tiefere persönliche Probleme eine Rolle spielen, sagt die Projektkoordinatorin: „Mentoring ist keine Therapie.“ Dafür gebe es anderweitig geschultes Personal. Die ehrenamtlichen MentorInnen können nur eine Unterstützung für das Klarstellen und Erreichen von Karrierezielen sein.

Viele Frauen wollen im übrigen lieber einen männlichen Mentor, sagt Daldrup, „um herauszufinden, wie Männer ticken.“ Außerdem gibt es noch einen ganz pragmatischen Grund dafür, dass rund die Hälfte der Mentoren Männer sind: Sie besetzen weiterhin überproportional Führungspositionen.

Eine davon hat sich Ina Malinowski gesichert. „Mehr wagen oder nicht?“ – diese Frage hat sie mittlerweile mit Hilfe ihres Mentors entschieden. Die Antwort behält sie für sich. Nur eine Veränderung gibt sie preis. Beim dritten Durchlauf ist sie Mentorin. Nicht mehr Mentee.