Störtebekers Nachfolger

GEBRAUCHSANWEISUNG Gestern wurde der erste Piratenprozess seit Jahrhunderten in Deutschland eröffnet. Zehn Somalier stehen vor Gericht. Wir hatten dazu ein paar Fragen

Piratenzubehör: zwei Granatwerfer, zwei Pistolen, zwei Enterleitern

VON CIGDEM AKYOL

Was ist überhaupt passiert?

Schwer bewaffnete Männer sollen das deutsche Schiff „MV Taipan“ am 5. April 2010 vor der Küste Somalias überfallen und in ihre Gewalt gebracht haben. Die Besatzung hatte sich in einem sogenannten Safety-Raum in Sicherheit gebracht. Die Piraten wurden von einem niederländischen Marinekommando überwältigt und festgenommen. Im Juni lieferten die Niederlande die Verdächtigen an Deutschland aus. Sichergestelltes Piratenzubehör: 2 Granatwerfer, 5 Kalaschnikows, 2 Pistolen, 2 Enterleitern.

Und wie lange wird der Prozess so in etwa dauern?

Lange. Der Prozess ist zunächst bis Ende März 2011 angesetzt. Insgesamt 20 Pflichtverteidiger kümmern sich um die Rechte der Somalier. Keiner der zehn mutmaßlichen Seeräuber spricht Deutsch, daher werden drei Dolmetscher im Verhandlungssaal sein. Die Übersetzung wird per Kopfhörer übertragen.

Wie könnte denn das Urteil ausfallen?

Die Staatsanwälte werfen den zehn Männern einen Angriff auf den Seeverkehr und erpresserischen Menschenraub vor. Bei einer Verurteilung drohen den Erwachsenen Höchststrafen von 15, dem Jugendlichen von 10 Jahren.

Warum findet der Prozess ausgerechnet in Hamburg statt?

Auf hoher See gefangene Piraten können nach dem Völkerrecht von jedem Staat angeklagt werden. Somalische Seeräuber haben schon mehrfach deutsche Schiffe gekapert, aber bisher hatte die Bundesrepublik solche Verfahren gemieden und war nach Kenia oder auf die Seychellen ausgewichen. In den vergangenen Jahren waren vor Somalia aufgegriffene Seeräuber von der internationalen Anti-Piraten-Flotte in der Regel an das Nachbarland Kenia übergeben worden. Doch Kenia hat das entsprechende Abkommen mit der EU im Laufe des Jahres gekündigt, und die Gefängnisse auf den Seychellen sind überfüllt.

Und wieso darf da so ein popeliges Landgericht ran?

Dass den zehn mutmaßlichen Piraten aus Somalia in Hamburg der Prozess gemacht wird, bestimmt Paragraf 10 der deutschen Strafprozessordnung. Danach ist für Straftaten auf See das Gericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Heimathafen des Schiffes befindet. Da die gekaperte „MV Taipan“ der Reederei Komrowski gehört und in Hamburg registriert ist, ging der Fall an das Landgericht der Hansestadt.

Aber es gibt in Hamburg doch auch den Internationalen Seegerichtshof (ISGH). Warum ist der dieses Mal nicht zuständig?

Das Verfahren liegt nicht in der Zuständigkeit des Internationalen Seegerichtshofes, weil dieser für Streitigkeiten hinsichtlich der Auslegung des UN-Seerechtsabkommens zuständig ist. Dabei geht es hauptsächlich um Auseinandersetzungen zwischen Staaten. Das Gericht befasst sich also mit internationalen Streitigkeiten in Seerechtsfragen, nicht mit der juristischen Verfolgung von Piraten.

Wann wurde hier in Deutschland eigentlich der letzte Pirat verurteilt?

Es ist das erste Mal, dass mutmaßlichen Seeräubern aus Somalia in Deutschland der Prozess gemacht wird. Zugleich ist es der erste Piratenprozess seit vier Jahrhunderten in Hamburg. Außerdem gilt das Verfahren Historikern auch als erster Freibeuter-Prozess auf deutschem Boden insgesamt seit etwa dem Jahr 1600. Früher ging es bei solchen Prozessen blutig zur Sache. Alleine in Hamburg gab es zwischen 1390 und 1600 mindestens 533 Todesurteile gegen Seeräuber.

Der bekannteste Angeklagte war der sagenumwobene Seeräuber Klaus Störtebeker, der 1401 auf Grasbrook (heute Hafen City Hamburg) vom Henker Meister Rosenfeld geköpft wurde und trotz abgeschlagenem Schädel angeblich noch ein Stückchen herumlief.

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