Die digitale Revolution versinkt im Funkloch

TWITTER Alle wollen was sagen – aber nur sehr wenige kommen auch durch: Gezwitscher am 1. Mai

Nach neun Stunden brach sie endlich ihr Schweigen: „Ich habe KEINEN Empfang – nicht mal Telefon – Supershit!!!!!“, schrieb @Monika Herrmann1 um 20:32 Uhr. Die Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich just in ihrem Lieblingsmedium Twitter rar gemacht an diesem 1. Mai. Aber die Grüne war nicht die einzige mit Kommunikationsproblemen: Offenbar hatte der riesige Andrang mitteilungsbedürftiger Menschen auf dem Myfest die Funkversorgung in Kreuzberg überstrapaziert. „Internet ist miserabel, wenn ihr jemanden sucht, ruft am besten an“, twitterte @tnakng.

Ob die andere Monika Herrmann, die aus Fleisch und Blut, sich unter die mehr als 40.000 feierwütigen, köftehungrigen, caipidurstigen MitbürgerInnen gemischt hatte – über die sozialen Medien ließ es sich nicht in Erfahrung bringen. Dafür war es einfach zu voll. Was nicht allen gefiel: „Nichts für Leute mit Platzangst“, befand @s_schaffner, und @HomoCarnula klagte über das „Scheissdrex #Myfest – mehr sexistische Sprüche und Anfassübergriffe innerhalb von 20 Minuten als das gesamte letzte Jahr.“

Manch einer wurde ganz kategorisch: „Dieses #Myfest ist einfach nur vollkommen verabscheuungswürdiges Ballermann-Gedöns“, urteilte @Elquee, und @drayenim sekundierte: „Das #myfest war auch die letzten Jahre scheiße. Voll goldig, wie ihr das jetzt alle (wieder) rausfindet. <3“

Natürlich haben Massenevents auch Fans, sonst wären es ja keine: „Love how everything in #kreuzberg smells char-grilled today“, schwärmte Myfest-Besucher @alaksis. In der Myfest-Diagnose von @knuspersnack – „schön friedlich und kapitalistisch. Essen, Trinken und Musik“ – schwang dann aber schon wieder etwas Ironie mit.

Im Vorfeld der 18-Uhr-Demo offenbarte Twitter mal wieder, dass sich die Faustregel „zwei Menschen, drei Meinungen“ problemlos auf große Menschenmengen hochrechnen lässt. „Über 70.000 Demonstranten auf dem Lausitzer Platz“, meldete @NorbertHuth. Freilich verlinkte er auf einen Artikel von 2013, für den vermutlich alle Myfest-Besucher gezählt worden waren. Manche maulten, dass nichts passierte, @RheumaKai1965 machte Stimmung: „Lügt doch nicht, ihr Hunde. Das sind mindestens 15.000. Das sieht jeder, der schonmal demonstriert hat!“

Polizei mit *

Dabei konnte man den Ordnungshütern diesmal alles vorwerfen, nur nicht, dass sie zuungunsten der Veranstalter gezählt hätten: „Die „Revolutionäre #1Mai Demo“ befindet sich mit ca. 19.000 Personen auf der Zossener Str. in Richtung Hallesches Ufer“, meldete ein Polizeitweet um 20:50 Uhr – da hatten die Veranstalter gerade erst von „über 20.000“ gesprochen.

Auch sonst brauchte sich die Behörde zumindest diskursiv nicht vor den revolutionären Kräften verstecken: „Aus der ‚Revolutionären #1Mai Demo‘ heraus werden vereinzelt Pyros gezündet, Flaschen und Steine auf Polizist*innen geworfen“, twitterten die Behelmten. „Wir haben gerade den Versammlungsleiter aufgefordert, auf die Teilnehmer*innen einzuwirken, dies zu unterlassen.“ CLAUDIUS PRÖSSER