Martinsclub beklagt das Gesetz

SOZIALE ARBEIT Wer Kindern hilft, muss auf Rechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz verzichten, findet der Martinsclub: Betriebsversammlungen bitteschön nur in der Freizeit

Dem Martinsclub passt die ganze Richtung des Betriebsverfassungesetzes nicht

Von KLAUS WOLSCHNER

Vor ein paar Tagen bekamen viele Bremer Schulen einen Brief vom Martinsclub. Das ist ein einst von Eltern gegründeter Selbsthilfe-Verein, der Angebote für Menschen mit Behinderungen organisiert. Inzwischen ist der Martinsclub mit rund 300 „persönlichen Assistenzen“ für SchülerInnen eine richtige Firma mit einem richtigen Geschäftsführer geworden.

Das ist Edgar Mund. Und der teilte den Schulen in dem Brief folgendes mit: „Leider“ habe man keinen Erfolg gehabt mit dem Versuch, den MitarbeiterInnen des Martinsclubs eine Betriebsversammlung am 24. November um 10 Uhr morgens zu untersagen: „Leider ist das Arbeitsgericht der Auffassung, dass der zu erwartende massive Ausfall an Betreuungstätigkeiten und die damit verbundenen Probleme“ nicht ausreichen, um ein Verbot der Betriebsversammlung während der Arbeitszeit zu rechtfertigen.

Der Martinsclub will sich mit der Eilentscheidung des Gerichtes nicht zufriedengeben und den Rechtsstreit im Hauptsacheverfahren führen – am 4. April 2011 ist der Termin.

Anwalt des Martinsclubs ist Volker Hertwig. „Das Hauptproblem sind die Kinder“, die ohne Betreuer nicht zur Schule können, sagt der Jurist. Im Paragrafen 44 des Betriebsverfassungs-Gesetzes steht zwar, dass Betriebsversammlungen während der Arbeitszeit stattzufinden haben, das aber nur, „soweit nicht die Eigenart des Betriebes eine andere Regelung zwingend erfordert“. Das ist für ihn gegeben: Kinder haben einen gesetzlichen Anspruch auf Betreuung im Schulunterricht, es gebe also einen „Interessenkonflikt zwischen zwei gesetzlichen Ansprüchen“. Und für Hertwig ist klar: „Die Kinder müssen den Vorrang haben.“ Lebenshilfe und ASB hätten dasselbe Problem.

Im Eilverfahren hatte er auch damit argumentiert, die Schulbehörde könnte die Verträge mit dem Martinsclub kündigen, wenn die AssistentInnen nicht zur Arbeit kämen. Lebenshilfe und ASB kennen ihr Problem allerdings offensichtlich nicht: Selbstverständlich finden Betriebsversammlungen dort während der Arbeitszeit statt, und wenn jemand nachmittags Schicht hat, morgens aber die Betriebsversammlung war, bekommt er Freistunden.

Auch bei der Schulbehörde wird das Verständnis des Martinsclubs von den Arbeitnehmerrechten nicht geteilt. Die Schulaufsicht hat die Schulen per Mail von der Betriebsversammlung informiert. „Beachten Sie bitte, dass Ihnen für ca. 3 bis 4 Vormittagsstunden keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Martinsclub als persönliche Assistentinnen zur Verfügung stehen“, heißt es da.

Für Wenzel Jerke, den Anwalt des Betriebsrats, ist die Sache ganz eindeutig: Die gesetzlichen Vorschriften sind auch deshalb so eindeutig, sagt er, damit Unternehmen ihre Betriebsräte in dieser Frage nicht unter Druck setzen können.

Martinsclub-Geschäftsführer Mund hätte gern eine Liste derer gehabt, die an der Betriebsversammlung teilnehmen wollen, um die Schulen entsprechend vorwarnen zu können. Aber auch die kriegt er nicht: „Auch die Abfrage an unsere Mitarbeiterinnen, wer gegebenenfalls an der Betriebsversammlung teilnehmen wird, ist nicht möglich“, schrieb er an die Schulen, „da uns das Betriebsverfassungsgesetz und die aktuelle Rechtsprechung dieses Vorgehen untersagen.“ Nicht einmal Vertretungen könne er senden – die hätten ja auch ein Recht auf Teilnahme an der Betriebsversammlung.