Marokkos unbeugsame Stimme verstummt

ABRAHAM SERFATY Der berühmteste ehemalige politische Gefangene des Königreichs stirbt im Alter von 84

MADRID taz | Marokkos bekanntester Regimekritiker, Abraham Serfaty, ist gestern auf dem jüdischen Friedhof seiner Geburtsstadt Casablanca beigesetzt worden. Der 84 Jahre alte Kommunist war am Donnerstag gestorben und hat für seinen Kampf für Demokratie in Marokko mit insgesamt 15 Monaten im Untergrund, 17 Jahren Haft und 8 Jahren Verbannung gebüßt.

Serfaty, marokkanischer Jude, schloss sich im Alter von 18 Jahren zuerst der französischen und dann der marokkanischen Kommunistischen Partei an und engagierte sich gegen die französische Kolonialpolitik. 1950 machte er dafür erstmals Bekanntschaft mit dem Gefängnis. Nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 arbeitete er im neuen Bergbauministerium. Diesen Job verlor er 1968, als er sich mit einem Bergarbeiterstreik solidarisch zeigte. Fortan widmete sich er sich dem universitären Leben in Mohammedia bei Casablanca.

1970 brach Serfaty mit der Kommunistischen Partei. Sie sei zu unbeweglich, begründete er diesen Schritt und gründete zusammen mit anderen Dissidenten eine neue linke Gruppierung unter dem Namen Ila Al Amam (Vorwärts). Es waren bewegte Jahre in Marokko. Die Opposition wuchs, König Hassan II., Vater des heutigen Königs Mohammed VI., reagierte mit Härte. 1972 wurde Serfaty verhaftet und schwer gefoltert. Dank der Proteste seiner Studenten kam er wieder frei, um kurz darauf abzutauchen. 15 Monate versteckte er sich mit Hilfe der Frau, die er später heiraten sollte, der französischen Lehrerin Christine Daure.

1974 wurde er entdeckt und erneut verhaftet. In einem Schauprozess wurde er zusammen mit weiteren vier Angeklagten wegen „Verschwörung gegen die Staatssicherheit“ zu lebenslänglicher Haft verurteilt. Er verschwand für 17 Jahre im Gefängnis Kenitra. Das Regime verzieh ihm auch nie, dass er sich gegen Marokkos Besetzung der Westsahara wandte.

Dank internationalen Drucks begnadigte Hassan II. den „marokkanischen Mandela“ 1991 und schob ihn nach Frankreich ab. Erst im Jahre 2000, mehrere Monate nach dem Tod von Hassan II., durfte Serfaty in seine Heimat zurück, wo er sich gemeinsam mit seiner Frau für eine Aufarbeitung der politischen Verfolgung einsetzte. Der Internetseite der offiziellen marokkanischen Nachrichtenagentur MAP war sein Ableben in einem Krankenhaus in Marrakesch am Donnerstag gerade einmal zwei Zeilen wert. REINER WANDLER