Munterer Soundclash

KONZERT Maya Arulpragasam alias M.I.A. bringt die Verhältnisse, also auch die letzten Skeptiker, im Berliner Huxleys zum Tanzen

VON JAN SCHEPER

Vor den Nebelwerfern im vollen Berliner Club Huxleys Neue Welt steht am Mittwochabend eine neue Pippi Langstrumpf. Oder das, was aus der Lindgren’schen Symphatiesommersprosse geworden wäre, hätte sie die Studienjahre in einem Killerspiel der Marke „Blade Runner“ verbracht.

Die „Lady Anti-Gaga“ (Spiegel-Online) trägt Boots, Leggings im schwarzweißen Leopardenmuster, ein viel zu großes ärmelloses T-Shirt, darüber ein schillerndes Glitzerjäckchen und auf der Nase eine grüne Plastiksonnenbrille. Mathangi Maya Arulpragasam – kurz M.I.A. – ist schrill, rhythmuserzwingend, präsent, aber eben auch zierlich und projektiv. Sie passt in jede oder in keine Popstarkategorie. Die 35-jährige Tamilin mit britischem Pass entzieht sich, seitdem sie 2005 mit ihrem Debütalbum „Arular“ die internationale Bühne betrat, jedem musikalischem Definitionsmechanismus.

Der Konzertbesuch im Berliner Novemberregen lässt zumindest daran keinen Zweifel. Im Gegenteil: Ein audiovisuelles Feuerwerk bearbeitet unaufhörlich die ballsaalartigen Wände des an der Stadtteilgrenze zwischen Neukölln und Kreuzberg gelegenen Clubs. Der wogenden und pogenden Menge wird ein synästhetisches Bombardement serviert, das rauschende Ohren und flackernde Pupillen hinterlässt. Dagegen wirkt das von einem einsamen bläulichen Lichtkegel ausgeleuchtete einleitende DJ-Set trotz nahezu stilistischer Perfektion zwischen wummerndem Bailefunk und Rave-Signalen fast schüchtern.

Als M.I.A. mit viel Tamtam die Bühne betritt, um ihr im Sommer veröffentlichtes Album „Maya“ vorzustellen, beginnt die monströse Lichtbatterie, bestehend aus einem Dutzend Stroboskopen, einer LED-Wand und zahlreichen Neonröhren, zu zucken. Das wird sich in den folgenden 80 Minuten – einer Synthese aus verfremdetem Popart-Musikvideo und Livekonzert – nicht ändern.

Ihr zuletzt wegen schonungsloser Gewaltszenen im Video kontrovers diskutierter Song „Born Free“, den YouTube natürlich eiligst wegzensierte, folgt auf das abgekürzte Intro zum neuen Album. „Connected to the government“ stotterte die Hookline unaufhörlich. Die Videowand liefert umgehend blutrote Klecksstafetten und ein Makramee aus Abspielleisten der Internetplattform zu dem wüst-aggressivem Sample der Art-Punker von Suicide.

Die restliche Setlist kracht nicht minder ins Publikum. Ob nun „Meds And Feds“ oder „Boyz“ – aus der eigenwillig kombinierten Vielfalt zwischen Dancefloor, Dubstep, Billosynthies und Metalgitarrenriffs ergibt sich ein Soundteppich, der stete Bewegung einfordert. M.I.A ist kein Act zum Stillstehen. Als ihr Hit „Paper Planes“ zum Finale ertönt, wackeln auch die letzten Skeptiker zum erhabenen Stumpfo-Rhythmusdiktat der in den USA lebenden Musikerin mit ihren Hinterteilen. M.I.A.s weltweiter Erfolg basiert nicht zuletzt auf global übersetzbaren Kompositionen, die den einfachen schlagkräftigen Beat, gepaart mit Alltags- oder übersteuerten Verfremdungsgeräuschen, in höchst individuellen Harmonien aufgehen lassen. Dass vor alldem noch wütende und politische Rapkaskaden vibrieren, die massiv polarisieren, weil sie Konsumstrategien – „Teqkilla“ – ebenso wie Terrorismus – „Lovalot“ – thematisieren, führt zu einer hochexplosiven Mischung.

Immer wieder springt M.I.A. auf ein zentral auf der Bühne platziertes Sprecherpult mit Apple-Anschaltknopf-Symbol und spricht in unzählige dekorative Mikrofone, während auf dem Videoscreen Bilder von den Krisenherden der sogenannten Dritten Welt vorüberflimmern, etwa die Piratenüberfälle vor der Küste Somalias. Daneben wird das eigene Konterfei von M.I.A. munter als Projektionsfläche beackert, ob als Marionette oder Schattenriss.

So erwächst ein munterer Soundclash aus Identitäten, Ikonen, Ideologien und Illusionen, zusammengehalten von einem im wahrsten Sinne des Wortes Pop-Artwork. Mathangi Maya Arulpragasam scheint aber auch von einer kindlichen Energie getrieben zu sein, die an diesem rauschhaften Abend sofort ansteckend wirkt.