nebensachen aus rom
: Korruptionsvorwürfe sind noch lange kein Rücktrittsgrund

Große Heiterkeit herrschte letzthin in Italien. Da war in Schweden gerade die Regierung gebildet worden – und gleich flogen zwei Ministerinnen aus dem Kabinett. Die eine hatte nicht ordentlich die Sozialbeiträge für ihre Haushaltshilfe entrichtet, die andere hatte die Rundfunkgebühren nicht gezahlt.

Nun war der Quell der Heiterkeit keineswegs der, dass auch mal schwedische Politikerinnen Fünfe grade sein lassen. Richtig komisch fanden es die Zeitungen, dass die Damen gleich ihre Ämter niederlegten. Genauso komisch übrigens wie seinerzeit die Rücktritte von Gregor Gysi und Cem Özdemir in der Flugmeilenaffäre. Wegen so was gehen die? Sind die noch normal???

Dabei haben Italiener eine schlechte Meinung über ihre Politiker wie kaum ein andres Volk Europas. Halunken, Gauner, korruptes Pack, das bloß an sich selbst und an den eigenen Clan denkt. So wird täglich an den Tresen der Bars Dampf abgelassen.

Richtig in Rage reden können sich da Leute selbst über frei erfundene Geschichten. So glaubt halb Rom – zumindest alle die, die rechts wählen – allen Ernstes ein modernes Märchen. Es war einmal ein Bürgermeister, der von 1993 bis 2001 die Stadt regierte, Francesco Rutelli heißt er, und heute ist er Vizepremier unter Romano Prodi. Der beging das Kapitalverbrechen, in Rom Parkgebühren für Pkws einzuführen, und gründete eine städtische Gesellschaft, die STA, zwecks Verwaltung der Parkstreifen und Eintreibung der Gebühren.

Verschwörerisch, als verrate er mir ein Staatsgeheimnis, schaut mein Gegenüber in der Bar über den Rand seiner Espressotasse. „Raten Sie mal, wem die STA wirklich gehört?“ Ich brauche nicht zu raten. Aus zig Gesprächen kenne ich die beiden Alternativen: a) die STA gehört insgeheim Rutelli selbst; b) die STA gehört seiner Frau. Eine Antwort c) ist in dem Quiz nicht vorgesehen, und damit von vornherein ausgemacht, dass die Parkgebühren bloß dem Zweck dienen, die Familie Rutelli zu bereichern. Beweise für diese Meinung braucht es nicht – denn sie ist nützlich.

Nützlich zunächst für alle jene Bürger, die ungern ihre Parkgebühren zahlen: Wer schwarz parkt, ist nicht etwa Trittbrettfahrer, sondern fast schon ein halber Gandhi, der per zivilem Ungehorsam „denen da oben“ einen kräftigen Strich durch die korrupte Rechnung macht.

Nützlich aber auch für einen Gutteil der Politiker. Für die, die echte Skandale an der Backe haben. Ob früher ein Giulio Andreotti – gegen den siebenfachen Ministerpräsidenten liefen 28 Ermittlungsverfahren wegen Korruption, Mafia, Mord etc. – oder heute ein Silvio Berlusconi, der schon 12 Prozesse unbeschadet überstanden hat: Der Volksglaube, irgendwie hätten alle Politiker Dreck am Stecken, ist für Leute wie sie hilfreich, um selbst aus der Schusslinie zu kommen.

Hilfreich nicht bloß, um ganz ohne Rücktritt im Geschäft zu bleiben: Weder Andreotti noch Berlusconi haben je ein Amt wegen einer Anschuldigung niedergelegt. Hilfreich auch, um ohne jedes Handicap weiter mitzumischen. Wie sagte der brave Katholik Andreotti einst: „Wer schlecht vom andren denkt, begeht eine Sünde. Aber fast immer hat er recht“. Der alte Herr sitzt heute noch im Parlament – als allseits verehrter Senator auf Lebenszeit.

MICHAEL BRAUN