berliner szenen Proben für Halloween

Fiese Gesichter

„Süßes, sonst gibt’s Saures!“, brüllt es hinter mir. Ich drehe mich um, sehe aber niemanden. „Hallo, ist da wer?“, frage ich. Plötzlich fuchtelt es mir vor der Nase herum. „Hier! Hier unten sind wir!“ „Ach so“, senke ich meinen Blick, „da unten seid ihr“, und klatsche mir mit der Hand auf die Stirn. „Ihr seid aber auch klein. Dürfen Gespenster unter acht um diese Zeit überhaupt noch raus?“

Vor mir stehen drei Knirpse, die versuchen, möglichst fies drein zu gucken. Ich kenne das von meiner Nichte. Stundenlang hat sie geübt, ein möglichst fieses Gesicht hinzukriegen. Ständig kam sie ins Zimmer gehechtet und rief: „1-2-3-Gespenster!“, und noch mehr solch brutale Sachen. Die heutige Situation trifft mich also nicht ganz unvorbereitet.

„Jungs“, sage ich, „tut mir leid. Das Einzige, was ich euch anbieten kann, ist ein halbes Käsebrot.“ Schweigen. Unentwegt blicken sie drein, als kämen sie aus einem Kindergarten in der Unterwelt: einer mit schwarzen Augenrändern, einer mit Spitzhut und der Letzte mit einem Plastikkürbis auf dem Kopf. „Ihr Gespenster heutzutage“, stöhne ich. „Was ist denn gegen ein Käsebrot einzuwenden?“ Stille. Die drei scheinen zu allem bereit. Der Kleinste nimmt sein Handy, baut sich vor mir auf und erklärt, wenn da nicht augenblicklich ein ernsthafter Lösungsvorschlag käme, würde man Verstärkung aus der Torstraße anfordern. Ich erblicke eine Dönerbude auf der anderen Straßenseite. Mit Mühe und Not schaffe ich es, mich in den Laden hineinzuretten. Kurz darauf kleben drei finstere Gestalten draußen an der Scheibe. Der Verkäufer blickt mich fragend an. „Ein Bier und drei Cola“, sage ich und lege einen Schein auf den Tresen, „mit solchen Typen legt man sich besser nicht an!“ JOCHEN WEEBER