HÜLLENLOSE OLYMPIONIKEN UND EIN TALIBAN-KATHOLIK
: Polens nackte Adler

aus Warschau

GABRIELE LESSER

Nackte Skispringer? Die Warschauer tippten sich an die Stirn. Das Gerücht über eine neue Fotoausstellung im Warschauer Olympia-Zentrum versandete, bevor es aufgekommen war. Denn die „fliegenden Adler“ in ihren weiß-roten Nationaltrikots, so die Überzeugung, sind doch Hänflinge. Dünn, blass, fast schon durchsichtig. Nur so können die jungen Männer von der Sprungschanze herab noch rund 100 Meter durch die Luft schweben, bis sie leicht wie eine Feder wieder unten aufsetzen.

Durch das erste Foto in den Medien änderte sich die Meinung jedoch schlagartig: Für den von unten fotografierten Gladiatorenkörper von Kamil Stoch, dem zweifachen Olympiasieger bei den Winterspielen in Sotchi, stürmten die Warschauer die Ausstellung Kunst-Akte. Bei der Vernissage erklärte die Fotografin Ewa Bilan-Stoch: „Am schwersten war es, meinen Mann von den Bildern zu überzeugen.“ Er ist der einzige der sieben Skispringer aus der polnischen Nationalmannschaft, der zu erkennen ist. Nicht an seinem Gesicht, sondern an den beiden Goldmedaillen, die dem Olympioniken um den Hals hängen.

„Es ist leichter zu springen, als für so ein Bild zu posieren“, sagt der 27-jährige Sportler. Denn es reichte keinesfalls, für eines der insgesamt 15 ausgestellten Bilder ein- oder zwei Mal die Muskeln bis zu äußersten anzuspannen oder den Kopf so in den Nacken zu werfen, dass die Halsmuskeln wie in Marmor gemeißelt erschienen. Zig Mal mussten die Springer Modell stehen, bis das richtige Licht- und Schattenspiel den gewünschten Effekt brachte. Viele Besucher, der längst im Internet zu sehenden virtuellen Ausstellung, finden die Männerakte „erstaunlich“ und „schön“. Das will viel heißen im konservativ-prüden Polen.

Vor einem Jahr als die polnische Tennisspielerin Anna Radwanska für einen karitativen Zweck für eine Sportzeitschrift die Hüllen fallen ließ, hatte es aus dem rechtspolitischen Spektrum Polens heftige Kritik gegeben. Dabei war damals gar nichts Anstößiges zu sehen: ein normaler Frauenkörper in brav-biederer Pose. Nun also die Skispringer: Überraschend ist eher, dass diese untergewichtig aussehenden Sportler wahre Waschbrettbäuche haben. Anstößig ist aber auch bei diesen Akten nichts.

Nur einer hat wieder etwas zu mäkeln. Wie schon bei Radwanska kritisiert der Chefredakteur der nationalkatholischen Zeitschrift Fronda, Tomasz Terlecki, schon die Nacktheit. „Der Körper einer Frau gehört ihrem Mann, der eines Mannes seiner Frau – und nicht irgendwelchen Gaffern. Das Olympia-Zentrum wiederum dient dem Sport und nicht der Befriedigung von Schwulen- und Lesben-Bedürfnissen.“ Im Internet aber kursieren längst Witze über den „Taliban-Katholiken“, der wohl auch in einem Ganzkörperbadeanzug baden gehe, da ja jedes Fetzchen seiner Haut allein den Augen seiner Frau gehöre.