Gefängnisgeschichte im Grünen

Nach dreijähriger Bauzeit wurde der Geschichtspark „Ehemaliges Zellengefängnis Moabit“ eröffnet – eine Grünfläche mit Stadtgeschichte, direkt am Hauptbahnhof

Wie Wachtürme ragen im Süden die beiden gläsernen Bügelbauten des neuen Hauptbahnhofs über die Haftanlage. Im Norden begrenzen sie drei Aufseherwohnhäuser. Sonst ist nur wenig zu sehen von der Welt draußen: bis zu fünf Meter hohe Gefängnismauern aus rotem Backstein verwehren die Sicht.

Gestern Vormittag öffnete sich erstmals für die Öffentlichkeit die Gittertür des Südtors. Eskortiert von Medienvertretern, betrat Dorothee Dubrau die Gefängnisanlage. Gut gelaunt stand die aus dem Amt scheidende Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung Rede und Antwort. Nach dreijähriger Bauzeit übergab sie als Letztes ihrer Projekte den Geschichtspark „Ehemaliges Zellengefängnis Moabit“.

Dafür wurde ein drei Hektar großes brachliegendes Areal nördlich des Hauptbahnhofs in eine landschaftsarchitektonische Kombination aus Erholungspark und Freilichtmuseum umgewandelt. 3,1 Millionen Euro aus Ausgleichsmitteln des Bahnhofneubaus standen zur Verfügung. Architekt Udo Dagenbach nutzte das Budget, um eine Grünfläche mit Stadtgeschichte zu verwirklichen.

Der Hauptmann von Köpenick und der Schriftsteller Wolfgang Borchert waren berühmte Insassen des Gefängnisses. 1958 war es abgerissen worden – für eine Schnellstraße, die nie gebaut wurde. Nur eine 300 Meter lange Mauer und drei Wohnhäuser blieben stehen. Diese Überreste der Anlage markieren heute die äußere Grenze des Parks. „Die Gefängnisstruktur wurde nicht einfach nachgebildet, sondern durch eine tektonische Dramaturgie fühlbar gemacht“, erklärt Dagenbach das Konzept. So verdeutlichten ansteigende und abfallende Rasenflächen – „tektonische Abdrücke“ – die Ausmaße der Gefängnistrakte. Der Grundriss der Zellen wird von symmetrisch angeordneten Heckenstreifen nachgebildet.

König Friedrich Wilhelm IV. ließ es einst als „preußisches Mustergefängnis“ errichten, gut hundert Jahre, von 1849 bis 1955 wurde es genutzt: Isolationshaft sollte die Straftäter von ihrer kriminellen Neigung kurieren. Mehr als 500 Einzelzellen sowie Abschirmungsvorrichtungen auf den Innenhöfen unterbanden jeglichen Kontakt zu Mitinhaftierten. Der pädagogische Großversuch misslang. Statt zur erhofften Selbsterkenntnis der Häftlinge führte die Vereinsamung zu einer Reihe von Selbstmorden. Die Praxis der absoluten Abschottung wurde wieder aufgegeben.

Ab 1940 nutzte die Wehrmacht Teile der Anlage. Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurden mehrere Teilnehmer und Mitwisser der Verschwörung hierher verschleppt und ermordet.

Der Schriftsteller Albrecht Haushofer war einer von ihnen. Im April 1945 wurde er von SS-Männern hingerichtet. Bei dem Toten wurde später ein Manuskript entdeckt – die „Moabiter Sonette“, die Haushofer heimlich in Haft verfasst hatte. Sie zeugen von der schieren Ausweglosigkeit und Todesgewissheit, die das Gefängnis Moabit für die Inhaftierten jener Tage bedeutete.

Dieses finstere Kapitel des Gefängnisses Moabit wurde für den Geschichtspark ebenfalls – und hier ganz wörtlich – in Zitatform aufgegriffen. Auf einem restaurierten Mauerabschnitt, der direkt an eines der Aufsehergebäude anschließt, steht ein Fragment aus Haushofers Gedicht „In Fesseln“ geschrieben. Es ist vom ganzen Park aus sichtbar: „Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt, ist unter Mauerwerk und Eisengittern ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern“. Das soll nun auch der Besucher erleben. MARKUS WANZECK