Kein Saison-Phänomen

Hamburg entwickelt sich zu einer Hochburg der rechten Szene: Die Zahl rechtsextremer Straftaten ist in diesem Jahr um 41 Prozent gestiegen – doppelt so stark wie im Bundesdurchschnitt. CDU-Senat sieht keinen Grund zum Handeln

Monatelang war mit genauen Zahlen hinter dem sprichwörtlichen Berg gehalten worden – jetzt ist es amtlich: Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist in Hamburg im Vergleich zum Vorjahreszeitraum drastisch angestiegen. In den ersten acht Monaten dieses Jahres verzeichnete die Polizei hier 286 politisch motivierte Straftaten der rechten Szene. Das ist ein Anstieg um 41 Prozent – 20 Prozentpunkte mehr als auf Bundesebene. Das hat der CDU-Senat nun in seiner Antwort auf einer Parlaments-Anfrage der Opposition eingestehen müssen.

„Alarmierend“ findet das der SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel. „Die Kriminalität am rechten Rand entwickelt sich zum Kardinalproblem bei der politisch motivierten Kriminalität.“ Der Senat sieht sich jedoch nicht in der Lage, eine detaillierte Auswertung der Taten und Täterprofile zu liefern: Solche Delikte werden zentral beim Bundeskriminalamt erfasst, und das System lässt keine elektronische Auswertung zu.

Nach Erkenntnissen des Hamburger Staatsschutzes soll es sich jedoch mit zwei Dritteln um überwiegend so genannte Propagandadelikte wie Hakenkreuzschmierereien handeln, die mit der Fußball-WM in Verbindung gebracht werden. Besonders vor und während des Turniers habe es „viele Anzeigen gegeben“, sagt Reinhard Fallak, Sprecher der Innenbehörde. Sofortiges Handeln hält er für unnötig.

Das sieht die Opposition anders. Sie warnte gestern davor, die Entwicklung zu bagatellisieren. Den Anstieg mit der Fußball-WM erklären zu wollen, „ist reichlich billig“, schimpft Dressel. Zumal die Zahl rechter Gewalttaten – darunter Körperverletzungen – im gleichen Zeitraum um 80 Prozent gestiegen sei. Dressel: „Verschleiern und Verharmlosung ist der falsche Weg.“ Politik und Gesellschaft dürften „die Alarmsignale nicht ignorieren“.

Auch Till Steffen, Rechtsexperte bei den Hamburger Grünen, sagte, der Anstieg der rechten Taten „muss die öffentliche Aufmerksamkeit erhalten“. Er plädiert für ein „konzertiertes Vorgehen“ aller betroffenen Behörden und Institutionen. Es sei nicht nur eine Aufgabe der Polizei. Dem pflichtete gestern auch der DGB bei: „Um der braunen Gefahr zu begegnen“, teilte Landeschef Ehrhard Pumm mit, sei es neben der Beobachtung und der politischen Auseinandersetzung mit den Extremisten wichtig, „bei jungen Menschen anzusetzen und ihnen entsprechende politische Bildungsangebote zu machen“. PETER MÜLLER