Die Entblößten

Politiker entsetzt: Erstmals gerät das Saubermänner-Image der Bundeswehr ins Wanken

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Deutsche Soldaten, die bei einer Patrouillenfahrt in Afghanistan lachend mit einem Totenschädel posieren. Ein Soldat, der seinen entblößten Penis neben einem Totenkopf präsentiert. Leichenteile, die wie Trophäen auf einem Bundeswehrjeep drapiert werden – solche Szenen hatte die deutsche Öffentlichkeit bisher noch nicht gesehen. Die „Schock-Fotos“, die gestern von der Bild-Zeitung publiziert wurden, sind über drei Jahre alt, aber sie lösten eine ganz neue Debatte aus. Desillusioniert fragen nun auch Regierungspolitiker, was „unsere Jungs“ eigentlich an den Fronten des sogenannten Antiterrorkampfes machen. Sie fordern Konsequenzen aus den Exzessen und fürchten islamistische Racheakte. Dass es nicht genügen wird, den Vorgang „aufzuklären“ und die beteiligten Soldaten zu bestrafen, wie es Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) versprach, ist allen klar.

Die Fotos von der Leichenschändung im Auslandseinsatz, die von Bundeswehrsoldaten im Frühjahr 2003 in der Nähe von Kabul selbst aufgenommen wurden, seien „entsetzlich und an Geschmacklosigkeit nicht zu überbieten“, sagte der CDU-Außenpolitiker Eckart von Klaeden der taz. „Die Soldaten müssen sich klar machen, dass solche Vorgänge die Sicherheitslage von ihnen selbst und ihren Kameraden empfindlich beeinträchtigen.“ Auch er weiß: Es geht nicht nur um möglicherweise entschuldbare Aussetzer überforderter Rekruten. Auch Offiziere waren dabei. Es geht also ganz grundsätzlich um die Ausbildung der Armee – und darum, ob sich derartiges Fehlverhalten überhaupt verhindern lässt. Erstmals seit die Bundeswehr in Spannungsgebiete geschickt wird, gerät das von der Regierung gepflegte Saubermänner-Image der Truppe ernsthaft ins Wanken. Fast scheint es, als lerne das Land erst jetzt, durch die drastischen Aufnahmen in einem Millionenblatt, dass es bei Militäreinsätzen oft schmutzig zugeht – auch wenn Deutsche dabei sind.

Diese Erkenntnis mag noch so trivial und für realistisch denkende Bürger kaum überraschend sein. Jene Politiker aber, die den Afghanistan-Einsatz befürwortet haben, macht sie zunächst: sprachlos. „Ich kann mir nicht erklären, wie so etwas passieren kann“, sagte der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold gestern über die Leichenschändung, um nach etwas Überlegungszeit hinzuzufügen: „Dass sich bei 250.000 Soldaten der eine oder andere dämlich verhält, ist nicht auszuschließen.“ Wie auch? Das Problem ist nur: Von den Soldaten, die bisher in Afghanistan waren, und von den rund 7.000, die sich derzeit weltweit im Out-of-area-Einsatz befinden, wurde bisher eine ganz andere Vorstellung verbreitet. Eine nahezu perfekte, die so nicht stimmen konnte.

Anlässe, über die wohl zwangsläufig nie ganz „saubere“ Tätigkeit der Bundeswehr in Kriegsgebieten nachzudenken, hätte es auch früher schon gegeben. Manches, was berichtet oder gemunkelt wurde, klang sogar gravierender als Totenkopfspielchen, so pervers diese auch sind. Aber es gab keine näheren Informationen – und keine Fotos. Die jetzige Aufregung zeigt die ungeheure Wirkungsmacht von Bildern, die sich, im Gegensatz zu schriftlichen und mündlichen Berichten, nicht relativieren und in irgendwelchen Untersuchungsausschüssen abhandeln lassen. Die Folter-Vorwürfe gegen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte, die der ehemalige Guantánamo-Häftling Murat Kurnaz erhob, konnten CDU-Politiker noch als „absurd“ abtun, weil es für seine Misshandlung durch Deutsche bisher keine Beweise gibt. Die Echtheit der Bilder dagegen bezweifelt niemand – und sie zeigen keine Spezialkommandos auf Terroristenjagd, deren geheime Aktionen bisher weitgehend achselzuckend hingenommen werden. Sie zeigen normale Soldaten, von denen die Öffentlichkeit bislang annahm, sie trage im ungefährlicheren Norden Afghanistans zum Wiederaufbau des Landes bei.

Für die Regierung kamen die Fotos denkbar ungünstig: an dem Tag, an dem das Kabinett das neue „Weißbuch“ zur Zukunft der Bundeswehr absegnete und die Fortsetzung der Beteiligung am US-geführten Antiterroreinsatz „Enduring Freedom“ beschloss. Entscheidungen, die selbst in der Koalition nicht unumstritten sind. Wirklich in die Bredouille kommt die Regierung aber, weil ausgerechnet jetzt, da schon der bisherige Einsatz ins Zwielicht gerät, die Nato-Verbündeten immer eindringlicher fordern, die Bundeswehr möge sich neben dem Engagement im Norden Afghanistans auch noch an Einsätzen im heiß umkämpften Süden beteiligen. Davor graut es allen, auch der CDU. „Es ist richtig, wenn man an der bisherigen Aufgabenverteilung festhält“, sagt ihr außenpolitischer Sprecher von Klaeden. Noch.