Um den heißen Brei herum

UKRAINE Wie spricht man über das Fürchterliche? Der Petersburger Dialog tagt, obwohl Merkel und Putin absagen. Und beweist: Auch unter Freunden fallen klare Worte schwer

■ Exportstopp: Die Bundesregierung genehmigt wegen des Ukraine-Konflikts zurzeit keine Rüstungsexporte nach Russland. „Aufgrund der aktuellen politischen Lage werden derzeit grundsätzlich keine Genehmigungen für die Ausfuhr von Rüstungsgütern nach Russland erteilt“, heißt es in der Antwort des Bundeswirtschaftsministeriums auf eine Anfrage der Grünen-Bundestagsfraktion. Die Regierung prüfe zudem, „wie mit bereits erteilten Exportgenehmigungen umgegangen werden kann“.

■ Verfahren: Laut Ministerium steckten am 8. April 69 Anträge auf Erteilung einer Ausfuhrerlaubnis für Rüstungsgüter nach Russland im Genehmigungsverfahren. Diese haben einen Wert von 5,18 Millionen Euro. Bei keinem der Anträge gehe es um Kriegswaffen, also etwa um Panzer, Maschinengewehre, Kampfflugzeuge oder Raketen. Von 2005 bis 2013 wurden 4.100 Genehmigungen für den Export sonstiger Rüstungsgüter nach Russland erteilt. (afp)

AUS LEIPZIG ULRICH SCHULTE

Selbst unter Freunden ist es schwer, ehrlich über einen drohenden Bürgerkrieg zu reden. Gernot Erler (SPD) sitzt auf einem Podium im Leipziger Westin Hotel. Von der Decke hängen realsozialistische Kronleuchter, Erler kennt viele hier im Saal persönlich. Er ist der Russlandbeauftragte der Bundesregierung und soll über die deutsch-russischen Beziehungen seit dem ersten Weltkrieg diskutieren. Vor sich 200 Zuhörer, neben sich zwei russische Professoren.

Man stehe an einem Punkt, sagt Erler also, „wo etwas zerstört werden kann, was wir in den letzten Jahrzehnten gemeinsam aufgebaut haben“. Er verstehe nicht, warum im Moment bestimmte Chancen nicht wahrgenommen würden. Statt sich an das zu halten, was sie vereinbart hatten, machten sich „beide Seiten gegenseitig Vorwürfe“.

Erler meint natürlich Russland und die Ukraine. Vorsichtig klingt das, etwas traurig und sehr ratlos. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung weiß offenbar nicht weiter.

Um es gleich zu sagen: Wer sich von dem mit Spannung erwarteten Petersburger Dialog Neues zur aktuellen Krise erwartet hatte, wurde enttäuscht. Erlers Einlassung war noch der eindeutigste Kommentar zur Ukraine-Krise, die sich zu einem Bürgerkrieg auszuwachsen droht. Und seine Frage blieb unbeantwortet im Raum stehen.

Der Petersburger Dialog ist ein Gesprächsforum, das seit 2001 existiert. Ein reger Austausch, bei dem deutsche und russische Vertreter aus Politik, Kultur und Wirtschaft über Diverses reden, aber vor allem freundschaftliche Kontakte knüpfen. Bei dem diesjährigen Treffen in Leipzig ging es offiziell um „Zivilgesellschaft und Friedensbemühungen von 1914 bis heute“, und natürlich schwebte die Krise dennoch über allem.

Die Eskalation hatte bereits stattgefunden. Traditionell wird der Petersburger Dialog von gegenseitigen Regierungskonsultationen begleitet. Doch Kanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin sagten ab. Ein intimes Plauderstündchen der höchsten Regierungsvertreter war in der derzeitigen Situation schlicht undenkbar.

Die Organisatoren des Dialoges versuchten, das Beste daraus zu machen. Sie verabschiedeten einen Appell: In der Ukraine müssten alle illegalen und bewaffneten Gruppen entwaffnet und illegal besetzte Gebäude freigegeben werden, forderte der Lenkungsausschuss des Dialoges. Eine Lösung sei nur möglich, wenn „beide Seiten zur Deeskalation“ beitrügen. Wohl gewogene Worte, die niemanden vor den Kopf stoßen.

Der Appell wiederholt längst Beschlossenes. Auf diesen Kurs hatten sich die Außenminister Russlands, der USA und Vertreter von EU und Ukraine am vergangenen Donnerstag in der „Genfer Erklärung“ geeinigt. Nach westlicher Lesart beträfe dies prorussische Milizen in der Ostukraine und besetzte Gebäude in ostukrainischen Städten. Seitdem überziehen sich die Ukraine und Russland mit Vorwürfen, statt die Erklärung umzusetzen.

Die Organisatoren schrumpften das zweitägige Programm auf wenige Stunden zusammen. Aber sie ließen es nicht ausfallen. „Gerade jetzt kommt es auf die Kooperation der Bürger an“, begründete das Lothar de Maizière, Chef des Lenkungsausschusses.

Und so wurde eben geredet, oft salbungsvoll, manchmal klug, immer freundlich. Michail Fedotow, Vorsitzender des russischen Rates für die Entwicklung der Zivilgesellschaft, betonte, wie wichtig es sei, dass beide Länder nicht nur geopolitische und wirtschaftliche Beziehungen knüpften, sondern auch menschliche. Er beschrieb das Trauma, das der Zweite Weltkrieg in Russlands Gesellschaft hinterließ. In nahezu jeder Familie habe es Opfer gegeben. Es war ein Versuch, russische Einkreisungsängste historisch zu erklären.

„Dynamiken, die irgendwann nicht mehr kontrollierbar sind“

HERFRIED MÜNKLER, POLITOLOGE

Auch Oleg Plenkow, Historiker an der Universität St. Petersburg, glaubt, dass Gründe für das russische Vorgehen in der Krim-Krise in der Vergangenheit liegen. Der Schock des Überfalls der Wehrmacht, die tief in russisches Gebiet vordrang, habe in der Gesellschaft ein Sicherheitsdenken etabliert, sagte er. 1991, kurz vor ihrer Auflösung, habe die Sowjetunion 63.000 Panzer unterhalten – für Plenkow eine Reaktion auf das Weltkriegstrauma.

Die vom Westen betrieben Ausweitung der Nato, das Heranrücken an die russischen Grenzen habe nicht nur die Regierung als unglücklich empfunden, sondern auch die russische Öffentlichkeit, sagte Plenkow.

Eine interessante Unterscheidung machte der Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler. Er führte seine These von „heroischen“ und „postheroischen“ Gesellschaften aus. In ersteren – in der Regel: ärmeren und schlechter entwickelten – Gesellschaften gebe es ein Ideal von Männlichkeit, welches Krieg und die Verteidigung des Vaterlandes idealisiere. In zweiteren – meist: reicheren und gut entwickelten – Gesellschaften werde Krieg als Abweichung von der Norm empfunden.

Osteuropa sei nicht wohlhabend genug, um jungen Männern ihre Heroisierungsideale abzukaufen, erklärte Herfried Münkler. Die Politik profitiere davon, wenn sie diese Gefühle bediene. Dies mache die Lage unkalkulierbar, sagte er mit Blick auf Putins Politik. „Es wird mit Dynamiken hantiert, die irgendwann nicht mehr kontrollierbar sind.“