Blicke ins Innere

Vom Eindringen in die Welt anderer: Der WDR präsentiert ab heute in der neuen Staffel von „Avanti Debütanti“ vier schön sperrige Nachwuchsfilme

Von Judith Luig

„Wie bist du denn da reingekommen?“, wird der Hacker Peter irgendwann von einem seiner Datendealer gefragt. „Das sind nur Einsen und Nullen“, antwortet der, „wenn man lange genug probiert, kommt man überall rein.“

Heute Abend startet eine neue Staffel der Fernsehfilm-Reihe „Avanti Debütanti“ im Spätabendprogramm des WDR. Und auch wenn der Kölner Sender sie mit dem Titel „radikal digital“ ankündigt, stehen – obwohl es durchaus einige davon gibt – keine technischen Spielereien im Mittelpunkt der Filme. Im Gegenteil. Durch die vier Werke der deutschen Nachwuchsfilmemacher zieht sich eines der ältesten Motive filmischen Erzählens: das Eindringen in die Welt eines anderen Menschen.

Am genauesten geht Marc Ottiker diesem Thema nach. Sein wunderbarer Film „Halbe Miete“, der die Reihe heute um 23.45 Uhr eröffnet, verfolgt Peter, dargestellt von Stephan Kampwirth, auf seiner rastlosen Suche nach einem Zuhause durch ein einsames Köln. Unbemerkt verschafft er sich Zutritt zu den Wohnungen anderer, gleichermaßen vereinzelter Menschen und „hackt“ sich in ihr Leben ein.

Auf diese Weise gelingt es Ottiker, viele ebenso skurrile wie alltägliche Nebenfiguren in seinem Miteinander zu verweben. Die dezent neurotische Paula (Doris Schretzmayer), ein Kneipenwirt mit Cowboyfantasien, ein Klempner mit Fixierung aufs Schachspiel, ein Borderline-Messie – und ihre dazugehörigen Wohnungen, die Teil einer Installation zu bundesdeutscher Wohnkultur mit Ausflügen ins Prekariat sein könnten.

Orte scheinen im Erzählen über Einsamkeit eine wichtige Rolle spielen zu können. „Junimond“ (2. 11., 23.15 Uhr), der leise Spielfilm von Regisseur Hanno Hackfort, der sich fast ausschließlich auf seine nachdenklichen Protagonisten Paul (Oliver Mommsen) und Nele (Laura Tonke) konzentriert, spielt in einer ostdeutsch anmutenden herbstlichen Kleinstadt, die irritierenderweise Paderborn genannt wird. Paul und Nele sind Einzelgänger. So wie sich ihre Farben nicht mischen – sie trägt immer Rottöne, er bleibt stets den Schattierungen von Blau und Grau treu –, so mischen sich auch ihre Schicksale letztendlich nicht. Spielerisch dreht Hanno Hackfort manche Szenen mehrmals. Beim ersten Mal verabschieden sich die beiden recht klanglos, beim zweiten Mal küssen sie sich, und beim dritten Mal wird die erste Szene wiederholt. Es hätte auch anders kommen können, ist es aber nicht. Aber macht es einen Unterschied? Menschen, so scheint uns der Film sagen zu wollen, können sich nur ein Stück ihres Leben gemeinsam begleiten. Nähe muss sich nicht auf einen Menschen für Ewigkeit fixieren. Und das ist etwas Schönes.

Bei Tom Schreibers Film „Narren“ (9. 11., 23.15 Uhr), bei dem die Perspektive wechselt und die Außenwelt mit Ketchup und Blutwurst, Kölsch und Karneval in den verstörten Toman (Christoph Bach) eindringen will, sowie bei Christian Beckers und Oliver Schwabes „Egoshooter“ (16. 11., 23.15 Uhr), der Dokumentation des Videotagebuchs von Jakob (Tom Schilling), missglückt die Kontaktaufnahme zum anderen. Doch auch hier ist das zwischenmenschliche Verhältnis von einfachen Dingen bestimmt: Blicke, Essen, räumliche Nähe, Körperlichkeit.

Menschen scheinen – betrachtet man den Serientitel „radikal digital“ – dem Computercode nicht unähnlich. Es sind letztendlich lediglich Kombinationen aus Einsen und Nullen. Man muss nur lange genug probieren und sich vielleicht ein bisschen mehr Mühe geben.