Und immer noch lockt das Weiß

Taft, Organza, Tüllbomben: Trotz sinkender Hochzeitsrate gelten die Berliner den Brautmodengeschäften der Stadt noch immer als gute Kunden. Obwohl eigentlich auch ein Bikini mit Schleier reichen würde, kaufen sie sogar noch die Valentino-Robe zum Preis eines Kleinwagens. Sie sind eben Romantiker

Bräute von heute denken praktisch: Sie wollen ihr Hochzeitskleid nicht bloß einmal tragen

VON JENNI ZYLKA

Eigentlich ist es eine Nichtfarbe. Ein Ton, der den wenigsten richtig steht – Blasse macht er leichenblass, Braungebrannte lässt er nach Segellizenz und Sylt-Autoaufkleber aussehen. Außerdem ist er schneller dreckig, als man „Blaukraut bleibt Blaukraut“ sagen kann. Dennoch: Das traditionelle Brautkleid des Westens ist nicht nur steif, bodenlang und in A-Linie geschnitten, sondern vor allem: blütenweiß.

Die Farbe der Unschuld, die auch Schwangere tragen dürfen, ist die stärkste der Traditionen rund um die Trauung. Dazu kommen landestypische Regeln: In Bayern muss das Dekolletee bedeckt sein, sonst bekommt der Pastor einen Herzkasper. In Berlin reichen sozusagen Schleier und Bikini.

Trotz sinkender Hochzeitsraten gibt es in der Hauptstadt über 30 Brautmodengeschäfte, die meisten verkaufen auch Abendmode. Fährt man an einem vorbei, denkt man: „Barbie-Paradies“. Bei „Sissy Brautmoden“ in Neukölln zum Beispiel hängen Kleider, die aussehen wie hochkopierter Klopapierrollenschmuck. Reifrock, Spitzen, Schleppen, Taft, Tüll, Organza und Satin in Weiß und Creme – „aber selten“, sagt Besitzerin Fazilet Yakut, die den Laden vor zweieinhalb Jahren übernommen hat, „wird eine andere Farbe genommen“. Das liege an der Klientel, erzählt die kleine elegante Frau in Schwarz, sie bestünde überwiegend aus ExjugoslawInnen, und die wollten traditionell „Weiß, pompös und so viel Stickereien und Pailletten wie möglich“. Eine Flaute sei nicht in Sicht, denn zumindest ihre Kunden heirateten weiterhin – „keine Ahnung, woher die das Geld haben“.

Im Hinterraum probiert eine Frau ein Kleid an, das Yakuts Schneiderin geändert hat. Die Kundin trägt unter der Tüllbombe noch Jeans und Pulli, denn viele Musliminnen entkleiden sich nicht in der Öffentlichkeit. Beim Beraten sei sie schon ehrlich, sagt die gelernte Modedesignerin Yakut, aber wenn jemand unbedingt aussehen wolle wie ein 10.000-Kalorien-Cremetörtchen, dann gebe es daran eben nichts zu rütteln.

Ein junges Mädchen mit Riesenohrringen und aktuellem H&M-Mantel betritt telefonierend den Laden und versucht erfolglos, seinem Gesprächspartner eines der Kleider zu beschreiben – eines der mit 2.000 Euro teuersten bei „Sissy Brautmoden“. Glitzernde Paillettenmuster ziehen sich wie Ameisenspuren über den raschelnden Rock. „So weiß eben“, sagt das Mädchen, „ey Mann, du musst mal selber kommen!“ „Richtige Trends gibt es bei Brautmoden nicht“, sagt Fazilet Yakut. Oft hätten ältere Modelle zum Beispiel noch mehr Stickereien oder durchbrochene Ärmel, aber eigentlich sei in, was immer in gewesen ist: Weiß und Spitze bis zum Abwinken. Und das bei modernen wie bei altmodischen Frauen.

In Berlins ältestem Hochzeitsbedarf, bei „Brautmoden Petsch“ am Nollendorfplatz, sieht man das etwas anders. Frau Heidemann, Lesebrillenträgerin mit trockenem Berliner Mutterwitz und Turnschuhen, spricht von jährlichen Trends. Die Farbe, erklärt sie, gehe momentan „stark zu Apricot und Creme“, und das nicht nur, weil man – die junge Generation denkt praktisch – das Kleid noch weiterhin tragen wolle, sondern auch, weil kirchliche Trauungen in den Hintergrund geraten seien.

Ihre Kundschaft trägt Spendierhosen, es sind Moderatorinnen, Schauspielerinnen, Botschaftergattinnen. „Brautmoden Petsch“ verkauft ihnen jede Menge Designerkleider im Preisbereich eines Kleinwagens – Elie Saab, Pronovias, im Schaufenster steht eine weiße Valentino-Robe, die einem eleganten Landhaus- oder Bauernkleid ähnelt: lange Ärmel, schnuckelige Lochstickereien, schürzenähnliches Rockdesign. Aber Seide, und amtlich teuer. Die angehende Braut thront in einem zweiten Raum auf einem Podest vor dem mehrteiligen Spiegel, wie eine Prinzessin vor dem Staatsbesuch.

Die steigende Scheidungsrate, sagt Verkäuferin Heidemann und zwinkert dabei über den Brillenrand, bedeute keineswegs das Aus für Brautmoden –schließlich gäbe es so mehr Ledige, die es noch mal wagen. Manche Kunden schlagen auch gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe, so wie der Scheich aus Dubai, der eines Tages mit Stretchlimo und sechs Frauen auf der Matte stand und für alle den gleichen Hochzeitsschleier kaufen wollte.

Doch es geht auch abwechslungsreicher: In einer Fabriketage in Mitte näht die Designerin Kaska Hass seit vier Jahren Hochzeitsmoden auf Wunsch, für „Sie & Ihn, Sie & Sie, Ihn & Ihn“. Im Atelier der gebürtigen Niedersächsin hängen keine weißen Roben, dafür das, was den KundInnen näher ist: „Lieblingsfarbe, Lieblingsstoffe – wenn man sich extra etwas nähen lässt, ist es doch schade, es nur einmal zu tragen!“ Ein Modell ist ein fußballrasengrünes langes Kleid aus plastikähnlichem Material mit weißen Feldbegrenzungslinien und einer Schleppe – „das war für eine WM-Hochzeit“, erklärt Hass. Sie macht Kleider aus Seidenbahnen in verschiedenen Rottönen, Anzüge aus Spitze mit Unmengen von aufgenähten Stoff-Röschen. „Nach dem Vorgespräch fertige ich unentgeltlich bis zu drei Entwürfe an und schicke sie den Kunden“, sagt Hass, „da liege ich meist schon nicht so falsch.“

Kaska Hass hat mit ihren Modeinterpretationen die größer werdende Lücke zwischen altmodischem Hochzeitstraum und Individualismus genau getroffen. Ihre Kreationen sind so weit weg vom traditionellen Brautgewand wie ein Overkneestiefel vom Aschenbrödelschuh. Doch ob homosexuelle Verbindungen, Fetischfans oder Prinzesschen: Schwer romantisch sind sie alle. Dabei hing eine Hochzeit doch noch nie mit dem Bestand einer Beziehung zusammen.