Fähren vor der Kaperung

Deutsche Bahn will die Ostsee-Fährlinie Scandlines verkaufen. Gefahr für Arbeitsplätze in Puttgarden und den Schiffsverkehr nach Skandinavien. Besonders bedroht: Vogelfluglinie über den Fehmarnbelt

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Die Zukunft der größten Fährreederei auf der Ostsee bleibt ungewiss. Bis gestern Abend war noch keine Entscheidung über den Verkauf der Reederei Scandlines gefallen. Das bestätigte auf Anfrage der taz nord ein Sprecher der Deutschen Bahn in Berlin, die gemeinsam mit der dänischen Regierung zu gleichen Teilen Gesellschafter der Reederei ist. Die Veräußerung von Scandlines sei aber „nur noch eine Frage von Stunden“, so der Bahnsprecher. Über Details war offiziell nichts zu erfahren. Im Raum steht eine Kaufsumme von 1,3 Milliarden Euro.

Seit einem Jahr suchen die beiden Eigentümer nach einem Investor für die lukrative Reederei, die außer der Vogelfluglinie zwischen Fehmarn und Dänemark noch 19 weitere Strecken nach Skandinavien und ins Baltikum bedient (siehe Kasten). Informierte Kreise ließen jetzt durchsickern, dass von fast 40 Interessenten zwei potenzielle Käufer übrig geblieben seien, mit denen nun konkret verhandelt werde.

Dabei handelt es sich zum einen um den britischen Kapitalfonds 3i in Kooperation mit der schwedischen Fährreederei Stena, zum anderen um die Baltic Ferry Development Group. Hinter der stehen die dänische Fondsgesellschaft LD Equity, ein Tochterunternehmen der Allianz-Versicherung und die Deutsche Seereederei (DSR) in Rostock, die Nachfolgerin der ehemaligen DDR-Staatsreederei.

Scandlines – laut Eigenwerbung „Die Nr. 1 im Meer der Ostseefähren“ – unterhält das dichteste Liniennetz auf der Ostsee. Die wichtigste und einträglichste ist die Verbindung über den Fehmarnbelt zwischen dem deutschen Puttgarden und dem dänischen Rødby. Im Halbstundentakt pendeln dort vier Schiffe rund um die Uhr in 45 Minuten über die 20 Kilometer breite Meeresstraße.

Jahr für Jahr sorgt die Linie für neue Rekorde. 7,8 Millionen Passagiere wurden im vorigen Jahr in 1,8 Millionen PKWs, 316.000 LKWs und 8.800 Reisezugwagen nach Angaben der schleswig-holsteinischen Landesregierung hin und her geschippert. 600 Mitarbeiter in Deutschland und 500 in Dänemark sind demnach zurzeit „ganzjährig auf dieser Fährverbindung beschäftigt“.

Und denen droht nun doppeltes Ungemach. Unverdrossen hält die Große Koalition in Kiel an ihrem Plan fest, den Fehmarnbelt mit einer Straßen- und Schienenquerung zu überbrücken. Die Entscheidung über das 6,2 Milliarden Euro teure Projekt soll noch im Dezember fallen (die taz berichtete mehrfach).

Sollte diese Brücke in zehn bis zwölf Jahren stehen, „wäre die völlige Einstellung des Fährverkehrs nicht unwahrscheinlich“, räumte das schleswig-holsteinische Wirtschaftsministerium im September in seiner Antwort auf eine große Anfrage der oppositionellen Grünen im Kieler Landtag ein. Das hänge aber „ganz allein von der Entscheidung des Fährbetreibers ab“. Und genau deshalb wird der geplante Verkauf in Belegschaftskreisen argwöhnisch beobachtet. Bei Fondsgesellschaften wie 3i und LD Equity, so der nicht unbegründete Verdacht, stehe an oberster Stelle die Rendite.

Denn Scandlines soll verkauft werden, weil Bahn und dänische Regierung „unterschiedliche Vorstellungen“ über die Entwicklung des Unternehmens haben. Die schlimmste Interpretation dieser Aussage sieht auf Arbeitnehmerseite so aus: Dänemark will Scandlines versilbern, um Eigenkapital für den Bau der Fehmarnbeltquerung zu haben. Die neuen Besitzer holen ein Jahrzehnt lang möglichst viel Gewinn aus der Reederei heraus, und wenn die Brücke steht, wird die Fährverbindung samt den 1.100 Arbeitsplätzen beiderseits des Belts versenkt.

Der Dementis sind zahlreiche zu hören. Bahnchef Hartmut Mehdorn und der dänische Transportminister Flemming Hansen haben mehrfach versichert, dass „der Erhalt der Arbeitsplätze wesentlich“ sei im Verkaufspoker. Auch Schleswig-Holsteins Wirtschaftsminister Dietrich Austermann (CDU) und sein Amtskollege Otto Ebnet (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern setzen sich „für den weitgehenden Erhalt“ der Arbeitsplätze ein. Das aber ist nicht mehr als ein Appell.

Die Grundsatzfrage, welche die beiden Eigentümer Dänemark und Deutsche Bahn in diesen Stunden zu entscheiden haben, lautet: Nehmen wir einen geringeren Erlös für uns oder eine größere Unsicherheit für die Beschäftigten in Kauf?

Die Antwort dürfte heute oder morgen kommen.