Festakt mit Barrikaden und Tränengas

Anlässlich des Gedenkens an den Aufstand von 1956 kommt es in der ungarischen Hauptstadt Budapest erneut zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Polizei. 148 Personen werden verletzt und rund 100 festgenommen

VON RALF LEONHARD

Die meisten Passanten und auch die im Kordon aufgestellten Polizisten trauten ihren Augen nicht, als ein alter Sowjetpanzer aus den Beständen der alten ungarischen Volksarmee auf sie zurollte. Vermummte Demonstranten saßen und standen auf dem Kriegsgerät und schwenkten die rot-weiß-grüne Tricolore.

Exakt 50 Jahre nach Beginn des Aufstandes gegen das kommunistische Regime waren Budapests Straßen am Montag neuerlich Schauplatz gewalttätiger Zusammenstöße. Tausende Demonstranten drängten auf den Kossuth-Platz vor dem Parlament, den die Polizei für einen der zahlreichen Staatsakte geräumt hatte. Immer wenn Premier Gyurcsány das Wort ergriff, tönten auch bei den offiziellen Feierlichkeiten Rufe aus der Menge: „Gyurcsány, hau ab!“

Wie der T-55-Panzer, der zur Erinnerung an die Niederschlagung der Revolution aufgestellt worden war, in Betrieb genommen werden konnte, war anfangs ein Rätsel. Denn der für das Starten notwendige Akkumulator war ausgebaut worden. Randalierer schlugen den Si- cherheitsbeamten, der das gute Stück bewachte, nieder und installierten einen neuen Akkumulator. Weit kamen die Panzerknacker nicht, doch bevor sie von der Polizei festgenommen wurden, sorgten sie für die spektakulärsten Bilder des Tages. Nach der Panzerepisode ging es erst richtig los. Demonstranten zogen mit Fahnen durch die Straßen und brüllten Parolen gegen Premier Gyurcsány, dem sie vorwarfen, die Wahlen im April gestohlen zu haben. In einer Rede, die im September die Proteste auslöste, hatte dieser zugegeben, das Volk über den Zustand der Wirtschaft und geplante Sanierungsmaßnahmen belogen zu haben. Mit Plastikschilden gewappnet, versuchten Anti-Aufruhr-Einheiten der Polizei die gewaltbereiten Gruppen zu isolieren und abzudrängen.

An Symbolik mangelte es den Demonstrationszügen nicht. Die Proteste sollten mit dem Freiheitskampf vor 50 Jahren, die sozial-liberale Regierung mit dem Statthalterregime von Moskaus Gnaden gleichgesetzt werden. Ferenc Gyurcsány gilt den Oppositionellen noch immer als verkappter Kommunist.

Ziel von Protesten war auch die Einweihung des Denkmals für die Gefallenen des Aufstandes 1956. Die Großskulptur der Budapester Künstlergruppe i-ypszilon wurde auf dem Paradeplatz errichtet, wo man vor 50 Jahren das Stalin-Denkmal demontierte. Während einer Schweigeminute für die Gefallenen erschallte der Ruf: „Gyurcsány, hau ab, du hast verschissen!“

Für besonderen Aufruhr sorgte das Gerücht, bei den Zusammenstößen mit der Polizei sei ein Demonstrant getötet worden. Tatsächlich wurden nach offiziellen Angaben 128 Personen verletzt, Todesopfer gab es keine. Festgenommen wurden um die hundert Demonstranten. Die Polizei bot alles auf – berittene Einheiten, Wasserwerfer, Tränengas, Gummigeschosse und Hubschrauber – um der Demonstranten Herr zu werden.

An der Elisabethbrücke, die die Stadtteile Buda und Pest verbindet, wurden Barrikaden errichtet. Es folgten Steine und Molotowcocktails gegen die Polizei, die erst unter Einsatz eines Schneepfluges gegen 2 Uhr früh die Barrikaden räumen konnte.

Aufwiegler ist Viktor Orbán, Chef der rechtspopulistischen Fidesz, der zu den Protesten aufgerufen hatte und die Regierung durch den Druck der Straße stürzen will. Neuwahlen lehnt er ab. Ein Referendum soll entscheiden, was aber nach Ansicht von Verfassungsrechtlern nicht möglich ist. Das kümmert Orbán wenig. Immerhin gelang es ihm laut Agenturberichten, 40.000 Menschen auf die Straße zu bringen. Auch aus dem EU-Parlament bekam er Rückendeckung. Wilfried Martens, der Chef der Europäischen Volkspartei (EVP), bezeichnete auf einer Fidesz-Veranstaltung die Krise als „Schuld eines einzigen Mannes“. Der Regierung fehle der „Mut, den Fakten ins Auge zu sehen“.