RALF LEONHARD ÜBER ÖSTERREICHS ERSTE ROT-GRÜNE LANDESREGIERUNG
: Wien bleibt nicht Wien

Dass es nicht nur um grünen Aufputz am roten Bunker geht, hat viele überrascht

Türkische Migrantenfamilien würden in Wien in immer dieselben Wohngegenden gesteckt – und dann werfe man ihnen Ghettobildung vor. So der türkische Botschafters in Österreich, Kadri Ecved Tezcan, vor wenigen Tagen. Die einzige Partei, die ob der undiplomatischen Äußerungen gelassen blieb und deren Inhalte diskutierenswert fand, waren die Grünen. Kein Wunder, kämpfen sie doch seit Jahren gegen Fremdenfeindlichkeit an und werfen der Regierung Versagen in der Integrationspolitik vor.

Jetzt werden sie Gelegenheit haben, zu zeigen, wie es besser geht. In Wien, gleichzeitig Hauptstadt und Bundesland, wird es künftig eine rot-grüne Stadtregierung geben. Gestern wurde sie von Bürgermeister Häupl, SPÖ, und seiner neuen Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou, Grüne, vorgestellt. Dass es nicht nur um grünen Aufputz am roten Bunker geht, hat viele überrascht. Statt sich mit klassischen Grün-Zuständigkeiten wie Umwelt oder Frauen abspeisen zu lassen, hat die gebürtige Griechin das Megaressort Verkehr, Stadtplanung, Klimaschutz und Energie herausgehandelt. Da wird sie in einer Stadt, wo eine Viertelmillion Menschen türkischer Abstammung leben, auch in Integrationsfragen mitzureden haben.

Der Erfolg oder Misserfolg der ersten rot-grünen Koalition Österreichs wird nicht nur darüber entscheiden, ob die Grünen wie ihre Schwesterparteien in Europa nicht mehr übergangen werden können. Vielmehr sind die Stadtgrünen Träger historischer Verantwortung. Wenn es gelingt, das Miteinander von Alteingesessenen und Zuwanderern zu verbessern, dann werden auch die Parolen der FPÖ nicht mehr auf so fruchtbaren Boden fallen können wie zuletzt. Die Signalwirkung, dass Integration nicht ausschließlich als Sicherheitsproblem betrachtet werden muss, würde weit über Wien hinausgehen.

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