Bettina Gaus Macht
: Ausfallend vorgesetzt

Wolfgang Schäubles Pressesprecher ist zurückgetreten. Dabei ist es der Finanzminister selbst, der unter Druck steht: Die Medien machen Stimmung gegen ihn

Finanzminister Wolfgang Schäuble hat sich schlecht benommen. Man putzt Untergebene nicht in aller Öffentlichkeit herunter, auch wenn die inzwischen euphemistisch als „Mitarbeiter“ bezeichnet werden. Das haben selbst Otto Schily nur selten und Joschka Fischer gar nicht getan, jene Minister der rot-grünen Koalition, die berüchtigt waren für ihre Wutanfälle gegenüber – nun ja, Mitarbeitern. Auch Alice Schwarzer, die in Kritik eine besonders abstoßende Form der Majestätinnenbeleidigung sieht, hält sich in dieser Hinsicht zurück.

Schäuble hat darüber hinaus gezeigt, dass es ihm schwerfällt, einen Fehler einzugestehen. „Bei aller berechtigten Verärgerung habe ich vielleicht überreagiert.“ Eine solche Reaktion ist keine Entschuldigung, sondern eine Bekräftigung der Überzeugung, das eigene Verhalten sei durchaus akzeptabel. Ist es nicht. Und schließlich: Der Finanzminister hat durch seine Unbeherrschtheit dafür gesorgt, dass niemand über eine der wenigen Erfolgsmeldungen der Regierung redet – nämlich über die Tatsache, dass die Steuereinnahmen höher ausfallen als erwartet –, sondern dass ausschließlich das Benehmen des Ministers diskutiert wird.

All das ist Grund genug, sich über den Finanzminister zu ärgern, vor allem dann, wenn man der Regierung möglichst viel Erfolg wünscht. Was für den Minister selbst vermutlich in höherem Maße gilt als für die Autorin. Und was bleibt übrig, wenn all das gesagt ist? Dass ein Vorgesetzter ausfallend geworden ist. War sonst noch was? Nein, sonst war nichts. Als ob das nicht – leider – Alltag wäre im Berufsleben.

Im Kommentar einer Regionalzeitung war zu lesen: „Wer von seinem Chef derart vorgeführt wird, dem bleibt keine Wahl.“ Als zu kündigen nämlich. Meinen die Kollegen das ernst? Dann sollten sie täglich einen Kommentar darüber veröffentlichen, wie unzumutbar und menschenverachtend die Praxis ist, dass fast niemand eine Kündigung wagen darf, ohne hinterher die Kürzung von Sozialleistungen in Kauf nehmen zu müssen, falls er oder sie darauf angewiesen sein sollte.

Ich erkenne eine Kampagne, wenn ich sie sehe. Allein die Wortwahl ist aufschlussreich: Schäubles Sprecher tritt zurück. Was tut er? Er hätte um Versetzung bitten können, hinschmeißen, kündigen – all das wären mögliche Formulierungen gewesen. Ein Rücktritt ist eine Option, die einem Sprecher nicht offensteht. Übrigens auch keinem Leibarzt, keinem Wirtschaftsprüfer und keiner Kindergärtnerin. Das ist der Unterschied zwischen einem Amt und einer Arbeitsstelle. Die Behauptung, ein Sprecher trete zurück, ist der Versuch, einen weisungsgebundenen Angestellten auf Augenhöhe zu bringen mit seinem Vorgesetzten, dessen Rücktritt man auf diese Weise erzwingen will.

Es gäbe viele gute Gründe, Minister der schwarz-gelben Bundesregierung zum Rücktritt aufzufordern. Inhaltliche Gründe. Im Zusammenhang mit Finanzminister Wolfgang Schäuble wird derzeit stattdessen Volksempfinden abgefragt. Unangenehm.

Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz Foto: A. Losier