Verfassungsgericht schützt „zweites Zuhause“

SCHADENERSATZ Karlsruhe entlastet Eltern, die von ihren Kindern getrennt leben, von Haftungsrisiken

Durch das Gesetz sollen letztlich auch geschädigte Kinder geschützt werden

FREIBURG taz | Das Bundesverfassungsgericht hat das Haftungsprivileg auf Väter (und Mütter), die von ihren Kindern getrennt leben, erweitert. Das bedeutet: Wenn der getrennte Elternteil beim Besuch des Kindes fahrlässig einen Unfall verursacht, muss er daraus folgende staatliche Leistungen nicht ersetzen. Voraussetzung dafür ist, dass das Kind bei diesem Elternteil ein „zweites Zuhause“ hat.

Konkret ging es um ein nichteheliches Kind aus Bayern, das bei der Mutter lebte. Der Vater nahm den Jungen jedes zweite Wochenende von Freitagnachmittag bis Sonntagabend zu sich. Im August 2001 fiel das damals achtzehn Monate alte Kind im Garten in eine ungesicherte Regentonne und blieb zehn Minuten unter Wasser. Es konnte zwar wiederbelebt werden, bleibt aber wohl lebenslang ein Pflegefall.

Der Bezirk Schwaben hat bereits mehr als 100.000 Euro Behindertenhilfe bezahlt, wollte das Geld aber von dem Vater ersetzt bekommen. Der Vater weigerte sich zu zahlen und verwies darauf, dass die Mutter auch nicht zahlen müsste, wenn der Unfall bei ihr passiert wäre.

Tatsächlich sieht das Gesetz ein Haftungsprivileg für Familienangehörige vor, die mit dem Unfallopfer in „häuslicher Gemeinschaft“ leben (Paragraf 166 Absatz 6 SGB X). So soll verhindert werden, dass letztlich auch das geschädigte Kind darunter leiden muss, wenn dem Elternhaushalt weniger Geld zur Verfügung steht. Auch soll so eine Belastung des häuslichen Familienfriedens durch Ärger und Vorwürfe vermieden werden.

Das Landgericht Memmingen, das den Fall zu entscheiden hatte, fragte nun beim Bundesverfassungsgericht an, ob die Benachteiligung des vom Kind getrennt lebenden Elternteils mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Karlsruhe ließ die Norm zwar bestehen, legte sie aber verfassungskonform aus. Auch eine nur zeitweise häusliche Gemeinschaft genieße das Haftungsprivileg. Ein Kind mit getrennt lebenden Eltern habe faktisch zwei Familien, die beide vom Grundgesetz geschützt seien.

Der Vater im bayerischen Fall kann die staatliche Geldforderung abwehren, so Karlsruhe, wenn er seinen Unterhaltspflichten nachkam und das Kind in seinem Haushalt ein „zweites Zuhause“ hatte. Nach Auslegung des Gerichts liegt eine zeitweise häusliche Gemeinschaft vor, wenn der getrennte Elternteil mit dem Kind „häufigen“ Umgang hat und das Kind in seinem Haushalt regelmäßig verköstigt wird und übernachtet. Das Urteil gilt für verheiratete, geschiedene und nichteheliche Eltern.

Die Verfassungsrichter nutzten die Entscheidung noch zu einer Randbemerkung, die alle Eltern beruhigen dürfte: Auch bei Kleinkindern verlange die Rechtsordnung „nicht in jedem Fall eine permanente Beobachtung ‚auf Schritt und Tritt‘“. Die Verfassungsrichter kritisierten dabei das Memminger Gericht, das dem Vater „grobe Fahrlässigkeit“ vorwarf, weil er das achtzehn Monate alte Kind nicht ständig unter Aufsicht hatte. (Az.: 1 BvL 14/09) CHRISTIAN RATH