Betrug auf Kosten der wirklichen Opfer

USA Skandal bei der Entschädigung für Holocaust-Überlebende: Ein Fälscherring soll rund 42,5 Millionen US-Dollar ergaunert haben, 17 Personen wurden verhaftet. Die Claims Conference zieht Konsequenzen

Verschiedene Personen hatten ihren Anträgen ein identisches Foto beigelegt

AUS WASHINGTON DOROTHEA HAHN

Mit gefälschten Identitätspapieren, Arztgutachten und Überlebensgeschichten soll ein Ring in New York mindestens 42,5 Millionen Dollar aus einem Entschädigungsfonds für Holocaust-Opfer ergaunert haben. Am Dienstag eröffnete die Staatsanwaltschaft in der Stadt Anklage gegen 17 Personen wegen Betrug. Unter den Beschuldigten sind auch sechs ehemalige und derzeitige MitarbeiterInnen der „Conference on Jewish Material Claims“, die seit ihrer Gründung im Jahr 1951 an Deutschland gerichtete Entschädigungsforderungen bearbeitet.

Nach Erkenntnissen des FBI war der Fälscherring seit 16 Jahren tätig. Sein operatives Zentrum befand sich in „Little Odessa“ – dem New Yorker Vorort Brighton, in dem zahlreiche ukrainische ImmigrantInnen leben. Dort soll unter anderem eine Fälschungsexpertin namens Dora G. dasselbe Foto für mehrere gefälschte Pässe benutzt haben. Und in den dortigen russischsprachigen Zeitungen sollen die Organisatoren des Rings per Kleinanzeige nach immer neuen Antragstellern gesucht und ihnen ihre Hilfe angeboten haben. Im Erfolgsfall kassierte der Fälscherring eine Prämie. Die gefälschten Anträge beschreiben antisemitische Verfolgungen in den deutsch besetzten Teilen der Sowjetunion, Deportationen in Konzentrationslager, Morde an Familienangehörigen und Hunger und andere Misshandlungen in Verstecken.

Die gefälschten Anträge richteten sich an zwei Projekte des Entschädigungsprogramms: Der „Hardship-Fund“ vergibt einmalige Hilfen in Höhe von 3.600 Dollar, und der „Article 2 Fund“ vergibt monatliche Hilfen von 411 Dollar an Leute, deren Jahresverdienst unter 16.000 Dollar liegt. Nach den bisherigen Ermittlungen hat der Hardship-Fund in den letzten zehn Jahren rund 5.000 gefälschte Anträge bewilligt, der Article 2 Fund rund 660.

Eine zentrale Person in dem Fälscherring war nach Angaben der Ermittler Semen Domnitser. Er leitete bis zum vergangenen Sommer die beiden Projekte, an die die Anträge gingen. Seine Verwaltung prüfte jeden Antrag vor der Weiterleitung nach Deutschland, wo die abschließende Zustimmung oder Ablehnung stattfindet.

Auch mehrere direkte Mitarbeiterinnen von Domnitser sind am Dienstag verhaftet worden. Die Ermittlungen gegen den Fälscherring sollen durch Beschäftigte in dem Entschädigungsfonds angestoßen worden sein. Ihnen war aufgefallen, dass verschiedene Personen ihren Anträgen ein identisches Foto beigelegt hatten.

Bei einer Pressekonferenz in New York nannte Staatsanwalt Preet Bharara den mutmaßlichen Betrug am Dienstag „ebenso substanziell wie ärgerlich“. Der Chef der Claims Conference, Julius Berman, sagte: „Wir sind entsetzt, dass Individuen Geld stehlen, das für die Überlebenden des größten Verbrechens der Geschichte bestimmt ist.“

Die Claims Conference hat die Zahlungen an jene, die gefälschte Anträge eingereicht haben, vorerst eingestellt. Bislang haben 29 Personen das erhaltene Geld zurückgezahlt. 74 hingegen streiten in New York vor Gericht gegen die Aufhebung der Zahlungen. Gregory Schneider, Vizepräsident der Claims Conference, vermutet, dass nicht alle Antragsteller, die die Hilfe des Fälscherrings in Anspruch genommen haben, betrügerische Absichten hatten. Unter anderem waren darunter nach seiner Ansicht auch „ältere Juden, die unwissend gehandelt haben“.

Im Verhältnis zum Gesamtvolumen der Entschädigungszahlungen in den vergangenen zehn Jahren liegt der bislang bekannte Betrug bei rund einem Prozent. In Zukunft soll die Bearbeitung von neuen Anträgen nach Deutschland und Israel verlagert werden.

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