Außergewöhnlich grausam

Die Dokumentation „Cruel and Unusual“, die im Rahmen der Lesbisch Schwulen Filmtage am Sonntag zu sehen ist, setzt sich mit der Situation von Mann-zu-Frau-Transsexuellen in US-amerikanischen Männerknästen auseinander

So, 22.10., 17.30 Uhr, Studio-Kino, Bernstorffstraße 93-95

Der achte Zusatz zur US-amerikanischen Verfassung, Teil der die Grundrechte schützenden U.S. Bill of Rights, verbietet neben exzessiven Kautionen und Geldstrafen vor allen Dingen „cruel and unusual punishment“ – grausame und außergewöhnliche Bestrafung. Ein Grundsatz, der auch Eingang in die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte gefunden hat.

Was diese Worte in der Praxis für eine Bedeutung haben, ist indes Gegenstand erhitzter Debatten. Die Sichtweise des US-Supreme Courts ist dabei, dass der Grundsatz nur auf Strafen zutrifft, die grausam und außergewöhnlich zugleich sind. Grausame Strafen, die nicht außergewöhnlich sind – wenn also mehr als zwei Gerichte diese Strafe verhängen –, ebenso wie außergewöhnliche Strafen, die nicht grausam sind, gehen mit der Verfassung konform.

Vor diesem Hintergrund setzt sich die Dokumentation „Cruel and Unusual“ von Janet Baus, Dan Hunt und Reid Williams, die am Sonntagnachmittag im Rahmen der Lesbisch Schwulen Filmtage im Studio-Kino zu sehen ist, mit der Situation von Mann-zu-Frau-Transsexuellen in US-amerikanischen Knästen auseinander. Denn deren Situation, so die Argumentation, ist außergewöhnlich und zugleich grausam – eine eindeutige Missachtung eines grundlegenden Menschenrechts.

Erzählt werden die Schicksale von fünf Transsexuellen, die ungeachtet ihrer Geschlechtsidentität gemäß ihrer Genitalien in Männergefängnisse gesteckt wurden – eine Praxis, die in nahezu allen nordamerikanischen Staaten anzutreffen ist. Dabei stellen die fünf mitnichten eine Ausnahmeerscheinung dar. Nach Schätzungen ist knapp ein Drittel der Transsexuellen in den USA eingesperrt – eine Zahl, die den ohnehin schon hohen nationalen Durchschnitt um ein Dreifaches übertrifft.

Über einen Zeitraum von drei Jahren gedreht, stellt „Cruel and Unusual“ die grundlegenden Vorstellungen von Geschlecht und Gerechtigkeit durch die Geschichten der Protagonistinnen in Frage. Ophelia beispielsweise lebt seit 46 Jahren gefangen in einem männlichen Körper. Nun befindet sie sich in einem Männerknast in Virginia, wegen eines unbewaffneten Banküberfalls zu 67 Jahren verurteilt. Die Behandlung mit Hormonen wird ihr verwehrt. Sie sieht keinen anderen Ausweg, als ihre Genitalien zu verstümmeln, um das System dazu zu zwingen „zu beenden, was begonnen worden ist“. Auch Anna Connelly, die bereits erfolgreich als Frau gelebt und einen Sohn groß gezogen hat, wird die Behandlung mit Hormonen verweigert. Fünf Jahre lang hatte sie Östrogene bekommen und freute sich auf eine „Sexual Reassignment Surgery“. Nach ihrer Einsperrung wurde die Behandlung abgebrochen und Connelly in Einzelhaft genommen – wo sie versucht hat, sich das Leben zu nehmen.

„Cruel and Unusual“ stellt auf ergreifende Weise die Frage, ob die Behandlung dieser Frauen in Männergefängnissen nicht eine Verletzung ihrer grundlegenden Menschenrechte darstellt. Denn wenn die „Gender Identity Disorder“ schon im DSM-IV der Amerikanischen Psychiatrischen Assoziation als „Störung“ gilt, sollten Insassen dann nicht ein Recht auf eine Behandlung haben? Wird den Betroffenen durch deren Verweigerung nicht der Schutz vor „cruel and unusual punishment“ verwehrt?

Der Film über den Kampf gegen ein Rechtssystem, das nur zwei Geschlechter kennt, hat beim Frameline-Festival in San Francisco den Jury-Preis für die beste Dokumentation bekommen. ROBERT MATTHIES