Deutschland auf der Anklagebank

Der Bundesgerichtshof verhandelt heute über eine Klage jugoslawischer Kriegsopfer. Deren Chancen stehen schlecht

BERLIN taz ■ Der Vorfall, der heute vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe verhandelt wird, ereignete sich während des Kosovokrieges. Die Beteiligung an diesem Krieg war der erste militärische Einsatz in der Geschichte der Bundesrepublik.

Am 30. Mai 1999 zerstörten Nato-Flugzeuge eine Brücke in der serbischen Kleinstadt Vavarin, wobei zehn Zivilisten starben. Der damalige Nato-Sprecher Jamie Shea hatte die Zerstörung dieser Brücke als „legitimes militärisches Ziel“ bezeichnet. Die Tatsache, dass sich in Vavarin und Umgebung keinerlei Militär aufhielt, unterschlug er dabei.

2003 verklagten 33 jugoslawische Staatsbürger Deutschland stellvertretend für die Nato, weil diese sich mit diesem Angriff ihrer Meinung nach eines Kriegsverbrechens schuldig gemacht habe. „Aber genau das ist ein Problem des Krieges, dass es immer unschuldige Tote gibt“, erklärt der Anwalt Achim Krämer, der die Bundesregierung vertritt. Trotz der Opfer könne nicht von einem völkerrechtswidrigen Exzess gesprochen werden: „Deswegen bin ich zuversichtlich, dass die Bundesregierung das Verfahren gewinnen wird.“

Eine Vorhersage, die begründet ist. Ein wichtiges Argument für die Regierung ist, dass die Bombardierungen der Brücke nicht mit deutscher Beteiligung stattfanden. Bisher konnten die Betroffenen kein sinniges Argument vortragen, warum sie ausgerechnet gegen die Bundesrepublik klagen. Deswegen wurde die Klage bereits zweimal abgewiesen. 2003 wies das Landgericht Bonn die Klage ab. Auch das Oberlandesgericht Köln konnte keine deutsche Schuld erkennen und lehnte eine Schmerzensgeldzahlung ab. Jetzt hoffen die Kläger, vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe zu gewinnen.

Der Völkerrechtler Bernhard Kempen von der Universität Köln ist zuversichtlich, dass die Kläger das Verfahren gewinnen können. Denn die aktuelle Rechtsprechung zeige, dass auch der Einzelne völkerrechtliche Ansprüche gegen Staaten geltend machen könne, die sich an Kriegen beteiligt haben. „Deswegen ist nicht sicher, ob die Bundesrepublik gewinnen wird“, widerspricht Kempen Krämer. Aber auch er räumt ein, dass in dem Fall Vavarin kein pflichtwidriges, deutsches Verhalten erkennbar sei. Die Frage sei, ob die Beteiligung am Nato-Krieg für eine Verurteilung ausreiche.

Sollten die Kläger gewinnen, wäre es das erste Mal, dass die Bundesrepublik wegen Kriegshandlungen verurteilt wird. Es wäre ein Urteil, das in die Geschichte eingehen könnte.

CIGDEM AKYOL