Politische Bildungsarbeit mit Hindernissen

Abgelaufene Visa zwingen die Chefs deutscher Stiftungen dazu, Russland vorübergehend zu verlassen. Die Betroffenen glauben nicht an politische Motive, sondern sehen sich eher als Opfer des alltäglichen Verwaltungschaos

MOSKAU taz ■ Die Leiter der Friedrich-Naumann-, Friedrich-Ebert- und Hans-Seidel-Stiftung in Moskau mussten Russland gestern vorübergehend verlassen. Ihre Visa waren am 18. Oktober abgelaufen, dem Stichtag, bis zu dem alle ausländischen Nichtregierungsorganisationen (NGO) verpflichtet waren, sich bei der Registrierungsbehörde Rosregistrazija neu eintragen zu lassen.

Im Frühjahr verabschiedete die Duma ein neues NGO-Gesetz, das darauf abzielt, die Arbeit ausländischer Stiftungen schärferer Kontrolle zu unterwerfen. Die Visaaffäre hat nach Aussagen von Naumann-Chef Falk Bomsdorf und Jens Siegert von der Böll-Stiftung unterdessen einen wohl eher banalen Hintergrund. Politische Schlüsse zu ziehen oder Böswilligkeit unterstellen zu wollen, wäre nach Ansicht der beiden erfahrenen Russlandexperten verfrüht.

Vielmehr deutet die Weigerung der Behörden, die Visa zu verlängern, auf ein landestypisches Phänomen hin: Schlamperei durch alle Instanzen, angereichert mit der Scheu russischer Bürokraten, eigenständig zu handeln und Verantwortung zu übernehmen.

Die Schludrigkeit beginnt schon mit dem NGO-Gesetz. Es versäumte schlichtweg, die Zuständigkeit der Behörden für die Visaerteilung festzulegen. Mit dem neuen Gesetz ging am Stichtag die Registrierungskompetenz von der Registrazionnaja palata (Registrierungskammer) an die neu geschaffene Behörde Rosregistrazija über. Da keine Anweisung vorliegt, wer Visa zu erteilen habe, fühlen sich beide Instanzen nicht zuständig. Auch das Außenministerium, das bislang damit beschäftigt war, wies die Verantwortung von sich.

„Vermutlich ist das Problem im Kreml noch nicht angekommen“, meint Siegert. Die Absicht, die Stiftungen aus Russland zu vertreiben, steckt anscheinend nicht dahinter. Vielmehr sind es die unerfindlichen Wege der allmächtigen und inkompetenten Bürokratie, die russischen Satiriker wie Saltykow-Schedrin oder Gogol schon seit 200 Jahren als Steinbruch unübertreffbarer Absurditäten dient und ohne die die russische Literatur nicht das wäre, was sie ist.

Dennoch macht der Vorfall eins deutlich: Je mehr Kompetenzen der Kreml an sich reißt und dies propagandistisch auch als Zuwachs an Führungsstärke im Westen verkauft, desto weniger Führung ist de facto vorhanden. Der Staat, um dessen Lenkungskompetenz es nie sonderlich gut stand, ist endgültig auf den Hund gekommen. Anders gesagt: Er verwaltet nur noch sich selbst und die Interessen seiner Klientel.

Bislang wurde die Verschärfung des Gesetzes noch nicht in der Arbeit mit ausländischen NGOs umgesetzt. Ob die Instrumente auch zur Anwendung kommen, die sich der Staat durch unklare Formulierungen im Gesetz offen halte, bleibe, so Siegert, aber abzuwarten. Ausländischen NGOs sei es beispielsweise untersagt, politische Arbeit zu machen. Wo staatsbürgerliche Bildung aufhört und politische Arbeit beginnt, ist bekanntlich eine Frage der Interpretation, die von der politischen Stimmung im Land und nicht unerheblich auch vom guten Willen der Bürokratie abhängt. KLAUS-HELGE DONATH