Rice besucht Asien

Die Anti-Nordkorea-Allianz in der Region bröckelt. Die US-Außenministerin will die Regierungen auf Kurs bringen

TOKIO taz ■ US-Außenministerin Condoleezza Rice hat sich gestern vermutlich ausnahmsweise einmal über Japan geärgert. Das Land ist gemeinhin Washingtons treuester Bündnispartner in Asien. Rice saß im Flugzeug Richtung Tokio und betonte gegenüber Journalisten, man müsse ein atomares Wettrüsten unter Nordkoreas Anrainerstaaten verhindern. Taro Aso, Japans scharfzüngiger Außenminister, sagte Stunden vor der Ankunft des amerikanischen Gastes im Parlament: „Wenn ein Nachbarland Atomwaffen hat, kann man es nicht ablehnen, diese Frage der nuklearen Bewaffnung in Erwägung zu ziehen.“

Es ist bereits das zweite Mal binnen weniger Tage, dass ein Spitzenpolitiker der regierenden Liberaldemokraten eine entsprechende Diskussion anregt. Gleichzeitig versichert die japanische Regierung pflichtschuldigst, Japan rüttle nicht am Status quo. Als vor einigen Jahren ein Vize-Verteidigungsminister am Tabu der atomaren Bewaffnung ritze, musste er zurücktreten. Angesicht der von Nordkorea ausgehenden Bedrohung scheint sich das Klima geändert zu haben. Rice erneuerte gestern die Sicherheitsgarantien der USA für Japan und Südkorea – in der Hoffnung, dass sich die Büchse der Pandora wieder schließt.

Rice’ dringlichstes Anliegen ist, die Umsetzung der UN-Sanktionen gegen Nordkorea voranzutreiben. Sie waren vom Sicherheitsrat am Samstag zwar einstimmig beschlossen worden, doch herrschen erhebliche Differenzen, wie die Strafmaßnahmen anzuwenden sind. Strittig sind Inspektionen nordkoreanischer Schiffe: Soll das in der UN-Resolution erwähnte Handelsverbot für bestimmte Rüstungs- und Luxusgüter durchgesetzt werden, müssten Frachter womöglich unter Zwang durchsucht werden. China hat die Beteiligung an solchen Aktionen rundweg abgelehnt, Südkorea fürchtet, sie könnten eine militärische Konfrontation auslösen, und Japans „Selbstverteidigungskräfte“ sind durch die pazifistische Verfassung gebunden. Sollte das Parlament die gegenwärtige Bedrohungslage als „Notfall“ einstufen – ein von Außenminister Taro Aso unterbreitetes Szenario –, wäre es der japanischen Marine erlaubt, die US-Flotte logistisch zu unterstützen.

Der US-Botschafter in Seoul, Alexander Vershbow, kündigte an, Rice werde die südkoreanische Regierung heute in Seoul bitten, an Schiffsinspektionen mitzuwirken. Für heute Abend ist in ein Dreier-Treffen der Außenminister der USA, Japans und Südkoreas vorgesehen. Rice fliegt anschließend nach Peking und Moskau weiter. Beide Länder äußerten Bedenken gegenüber einem harten Sanktionsregime.

Derweil spekulieren Nordkorea-Experten, die Führung in Pjöngjang könnte Rice' Aufenthalt in der Region zum Anlass für einen weiteren Atomwaffentest nehmen. Diktator Kim Jong Il wird ein feines Gespür für das Timing von Waffentests zugestanden. Am vergangenen US-Nationalfeiertag feuerte Nordkorea eine Langstreckenrakete ab, der erste Atombombentest fiel praktisch genau auf den Beginn des südkoreanisch-japanischen Gipfeltreffens.

Vertraut man Nordkoreas amtlicher Nachrichtenagentur KCNA, so herrscht in der Hauptstadt Pjöngjang Partystimmung. Staatschef Kim Jong Il trat erstmals nach dem Test vom 9. Oktober in der Öffentlichkeit auf. Der „Große Führer Genosse General“ habe an einer Darbietung des Musikensembles der Volksarmee teilgenommen und sei stürmisch gegrüßt worden. Anlass der Feierlichkeiten: der 80. Jahrestag der Union „Nieder mit dem Imperialismus“. Von den Sanktionen der UNO dürfte die Bevölkerung bislang nichts erfahren haben.

MARCO KAUFFMANN