Tödliche Gaswolken vom Vulkan

INDONESIEN Beim erneuten Ausbruch des Merapi sterben 69 Menschen. 100.000 Menschen sind auf der Flucht

Überraschter Chef-Vulkanologe Surono: „Wir wissen einfach nicht, womit wir noch rechnen müssen“

AUS JAKARTA ANETT KELLER

Kilometerweit ist das Grollen zu hören: Der Vulkan Merapi kommt nicht zur Ruhe. In der Nacht zu Freitag starben bei einem neuerlichen Ausbruch des „Feuerberges“ mindestens 69 Menschen. Damit erhöht sich die Zahl der Opfer seit dem ersten Ausbruch des Merapi am 26. Oktober auf über 100 Tote. Unter Trümmern und Asche werden in den zum Teil unzugänglichen Dörfern noch zahlreiche weitere Opfer befürchtet.

Der auf der Insel Java nur 25 Kilometer von der Touristenhochburg Yogyakarta entfernt gelegene, knapp 3.000 Meter hohe Vulkan gehört zu den aktivsten der Welt. „Das war der bislang stärkste Ausbruch des Vulkans“, sagte Surono, Chef der staatlichen Geologiebehörde, der wie viele Javaner nur einen Namen hat. „Die heißen Gaswolken reichten bis zu 13 Kilometer den Berg hinab.“ Ein Regen aus Asche und Sand bedeckte umliegende Dörfer und die Stadt Yogyakarta und sorgte so für Sichtweisen von weniger als 10 Metern. Der nächtliche Ausbruch versetzte Tausende Menschen in Panik und sorgte für ein Verkehrschaos und zahlreiche Unfälle in den Straßen. Der Flugverkehr nach Yogyakarta wurde ausgesetzt. Zugtickets waren ausverkauft.

Inzwischen mussten mehr als 100.000 Menschen ihre Häuser verlassen, die in etwa 90 Flüchtlingslagern Zuflucht suchen. Der ursprüngliche Evakuierungsradius von 15 Kilometern um den Gipfel wurde inzwischen auf teilweise 20 ausgeweitet. Gefährdet sind vor allem jene, die an mehreren, vom Merapi kommenden Flussläufen wohnen, wo sogenannte kalte Lavaströme aus Asche und Gestein vermischt mit den durch starken Regen angestiegenen Flüssen drohen die Menschen und ihre Häuser mit sich zu reißen.

Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono erklärte das Gebiet um den Merapi gestern zum nationalen Katastrophengebiet und reiste noch am Abend in die betroffene Region. Auch deutsche Hilfsorganisationen wie das Deutsche Rote Kreuz, Misereor, Caritas und der Arbeiter-Samariter-Bund leisten gemeinsam mit ihren indonesischen Partnern Nothilfe. „Die Lage ist derzeit sehr unübersichtlich“, sagt Alex Robinson, Landesdirektor des Arbeiter-Samariter-Bundes zur taz. Durch die fortlaufende Evakuierung sei es sehr schwer zur ermitteln, welche Flüchtlinge wohin verbracht würden und woran es am meisten fehle. Nahrungsmittel seien durch die gute Versorgungslage der Großstadt Yogyakarta bislang genug vorhanden, so Robinson. Der starke Ascheregen könne aber zu Atemwegserkrankungen und Augeninfektionen führen, so die Sorge der Helfer. Hielten die Ausbrüche an oder verstärkten sich weiter, dürften die Kapazitäten der derzeitigen Flüchtlingslager nicht ausreichen, fürchtet Robinson.

Indonesiens Vulkanologen sind mit ihren Prognosen inzwischen sehr vorsichtig geworden. Sie hatten erwartet, dass der Vulkan, der etwa alle vier Jahre ausbricht, nach den Eruptionen der vergangenen Woche wieder zur Ruhe kommt. Doch stattdessen wurden die Ausbrüche immer gewaltiger. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, sagte Chef-Vulkanologe Surono. „Wir wissen einfach nicht, womit wir noch rechnen müssen.“