Die vernachlässigte Gefahr

BERLIN taz | Rund ein Drittel aller Frachtsendungen fliegt im Bauch von Passagiermaschinen und nicht etwa in Frachtmaschinen mit. Doch während inzwischen jede Nagelfeile aus dem Passagiergepäck gefilzt wird, sei die Luftfrachtsicherheit lange vernachlässigt worden, sagt der unabhängige Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt. „Das ist eine ganz schräge Blindheit, die da herrschte.“

3,3 Millionen Tonnen Fracht wurden 2009 an Flughäfen wie Frankfurt am Main, Köln/Bonn und Leipzig/Halle umgeschlagen. Meist sind es Hightechgüter wie Laptops, aber auch hochwertige Nahrungsmittel und Medikamente. Und die Branche boomt: Für 2010 wird ein Plus von rund 25 Prozent erwartet. Das sind Millionen von Sendungen, die Deutschland passieren. Nicht selten in Passagiermaschinen, deren Kapazitäten die Unternehmen einfach dazubuchen. Ist dann der Container mit Luftfracht genauso penibel geprüft wie das Passagiergepäck daneben? „In einigen Fällen sicher nicht“, sagt Großbongardt.

Röntgen reicht nicht

„Jede Sendung, die per Luftfracht transportiert wird, ist geröntgt“, sagt dagegen Marten Bosselmann, Geschäftsführer des Bundesverbandes Internationaler Express- und Kurierdienste (BIEK). Dabei sind es aber nicht immer die Luftfrachtunternehmen, die die Sicherheitskontrollen durchführen. Wenn die Sendung bereits von einer behördlich zugelassenen Spedition oder aber vom versendeten Wirtschaftsunternehmen selbst geprüft wurde, „dann entfällt die Kontrolle am Flughafen“, sagt Bosselmann.

Genau an dieser Stelle sieht Großbongardt das Hauptsicherheitsproblem: „Es reicht nicht, wenn jede Sendung geröntgt wird, solange das Umfeld nicht sicher ist.“ Mitarbeiter müssten entsprechend geschult und kontrolliert, das Gelände müsse gesichert werden. Da herrschten vielfach nicht dieselben Standards wie an den Flughäfen.

Dieses Problem hat die EU schon vor den jüngsten Sprengstofffunden erkannt. Gemäß einer seit April gültigen EU-Richtlinie muss das Luftfahrt-Bundesamt künftig alle sogenannten bekannten Versender lizenzieren und entsprechend kontrollieren. „Dazu haben die im Moment gar nicht die Kapazitäten“, meint Großbongardt. Für die Umsetzung der Richtlinie gilt eine Übergangsfrist bis 2013.

Doch auch wenn in den USA und der EU ausreichende Standards umgesetzt werden, bleibt das Problem der Sendungen aus Ländern wie dem Jemen. „Auch dort muss die Fracht nach EU-Standards geprüft werden, und zwar bevor das Flugzeug abhebt“, sagt Großbongardt. Das könnten in politisch instabilen Ländern nur die Transportunternehmen selbst leisten. „Wir haben doch auch das größte Interesse an maximaler Sicherheit“, sagt Jörg Wiedemann von DHL Express. Denn der Imageschaden, den eine zu spät entdeckte Bombe mit sich brächte, sei letztlich viel geschäftschädigender als teure Kontrollen. MANUELA HEIM