„Entscheidend ist das Kindeswohl“

Nach dem Tod eines Bremer Kleinkindes fordert Jugendamtsdirektor Harkenthal mehr Kompetenzen für die Behörden

taz: Herr Harkenthal, Fälle wie der Tod eines Kindes in Bremen erschüttern die Menschen. Nimmt die Zahl der vernachlässigten Kinder zu?

Thomas Harkenthal: Dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen. Auf jeden Fall werden die Menschen durch die Medienberichte aber aufmerksamer. Nachbarn aus dem Wohnumfeld wenden sich häufiger an die Behörden, wenn sie einen Fall von Vernachlässigung vermuten.

Die Arbeit der Jugendämter ist massiver Kritik ausgesetzt. Es entsteht der Eindruck, das Kindeswohl komme oft zu kurz. Stimmt das?

Nein. Der entscheidende Punkt ist immer das Kindeswohl. Aber wir arbeiten im Spannungsverhältnis mit den Rechten der Eltern. Da muss man den Einzelfall immer sehr genau betrachten. Die Trennung des Kindes von den Eltern kann nur am Ende einer sorgfältigen Analyse stehen. Bei dem Bremer Beispiel frage ich mich: Was ist in diesem Abwägungsprozess falsch gelaufen?

Bremen will das gesamte Hilfesystem auf den Prüfstand stellen. Wie könnten Verbesserungen konkret aussehen?

In Berlin besteht mit dem Kindernotdienst, der stadtweit sehr umfassende Befugnisse hat, bereits ein gut funktionierendes System. Überall stellt sich aber das Problem, dass der Datenschutz den Informationsfluss zwischen den Behörden und damit unsere Arbeit erschwert. Ich möchte, dass wir die relevanten Daten von Bildungs-, Jugend- und Gesundheitsbehörden leichter zusammenführen können.

Und sonst?

Mit einer verpflichtenden Vorsorgeuntersuchung für Kleinkinder könnten wir Problemfälle leichter erkennen. Allerdings bestehen auch hier wieder verfassungsrechtliche Bedenken.

Ist also eine Verbesserung nur über mehr staatliche Kontrolle zu haben?

Über mehr staatliche Fürsorge, wenn Sie so wollen. Da ist der Gesetzgeber gefordert. Wir beobachten in vielen Fällen drastische Defizite in der Erziehungsfähigkeit. Wir müssen Eltern unterstützen, wir müssen aber auch formulieren, was wir von Eltern erwarten.

INTERVIEW: CHRISTOPH GERKEN

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