KURZKRITIK: MAXIMILIAN PROBST ÜBER GOTTES HÄUSER
: Die Kirche als Paradox

Kirchen sind „Stein gewordene Paradoxien“, die eine Vielzahl unterschiedlicher Geschichten artikulieren

Kirchen, überall Kirchen. Und kaum einer, der nicht mal hineinschaut und sich zumindest von der Architektur beeindruckt zeigt. Damit er aber nicht bloß mit einem „Ah“ oder „Oh“ aus der Kirche hinausgeht, hat Johann Hinrich Claussen, Hauptpastor der Nikolai-Kirche am Klosterstern, das Buch „Gottes Häuser“ geschrieben. Der Untertitel: „Die Kunst, Kirchen zu bauen und zu verstehen.“

Eine Menge misszuverstehen gibt es zweifelsohne. Denn Kirchen sind, nach Claussen, „Stein gewordene Paradoxien“, die eine Vielzahl unterschiedlicher Geschichten artikulieren. An einem Dutzend Kirchenbauten von den christlichen Anfängen bis zur Kathedrale von Brasilia lässt er diese Komplexität beispielhaft hervortreten.

Für den Kirchbau in der Zeit des Historismus wählt Claussen die Nikolai-Kirche am Hopfenmarkt mit ihrem noch heute fünfthöchsten Kirchturm der Welt. Das Kapitel ist ungemein spannend zu lesen, zumal Claussen stets pointiert schreibt. Es beleuchtet die Großmannssucht der Hamburger ebenso wie deren antidemokratische und reaktionäre Tendenzen, die in den Bau eingingen. Im Krieg fällt die Kirche dann einer besonders bösen Paradoxie zu Opfer: Von einem Engländer errichtet, diente das höchste Gebäude der Stadt den englischen Bombern als Zielmarke für die „Operation Gomorrha“.