Gesetz spaltet Frankreich

Obwohl offen ist, wie das Parlament heute entscheidet, bemühen sich Diplomaten schon jetzt, den Schaden zu begrenzen

Die Drohungen Erdogans an die französische Wirtschaft machen in Paris wenig Eindruck

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Franzosen haben ein Faible für Gesetze. Wo immer ein Problem auftaucht, verfassen sie schnell ein Gesetz. Als neues Genre in dieser alten Disziplin sind zuletzt die Erinnerungsgesetze aufgetaucht. Mit deren Hilfe arbeiten sich die Parlamentarier an der Geschichte ab. Resolutionen sind in Frankreich im Parlament nicht vorgesehen.

Nachdem die Parlamentarier 1990 für das „Gayssot-Gesetz“ gestimmt hatten, das das Leugnen der Schoah unter Strafe stellte, folgten mehrere weitere historische Kapitel: die Anerkennung der Massenmorde an den Armeniern im Osmanischen Reich als „Genozid“ (2001), die Verurteilung des Sklavenhandels als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (2002). Über die beiden Gesetze gibt es zwar gelegentlich Diskussionen. Doch nach gegenwärtiger Mehrheitsmeinung hat vor allem das Gayssot-Gesetz die Verbreitung rechtsradikaler und antisemitischer Ideologien verhindert.

Heute steht ein weiteres Erinnerungsgesetz zur Abstimmung. Ein Abgeordneter der oppositionellen Partie Socialiste (PS) will nach dem Vorbild des Gayssot-Gesetzes künftig auch das Leugnen der Verbrechen an den Armeniern ahnden: mit Haftstrafen bis zu einem Jahr und bis zu 45.000 Euro Geldstrafe. „Wir haben eine gemeinsame Geschichte“, erklärt der Präsident der sozialistischen Fraktion, Jean-Marc Ayrault, an die Adresse der Türkei: „Frankreich hat nach 1915 armenische Flüchtlinge aufgenommen. Damit muss man sich auseinandersetzen“. Heute leben etwa 500.000 Armenier in Frankreich, auch Nachfahren von Überlebenden des Genozids. Und wenn Negationisten gegen ein neues Denkmal für die armenischen Opfer protestieren, wird das Thema regelmäßig zum Politikum.

Der Gesetzesvorschlag der PS datiert schon aus dem Frühling. Doch im Mai verhinderten Gegner des Gesetzes mit Taktiererei im Parlament die Abstimmung. Seither hat Jacques Chirac vor zwei Wochen die erste Reise eines französischen Staatspräsidenten in die Republik Armenien gemacht. Dort erklärte er, dass für ihn die Anerkennung des Genozids durch die Türkei eine Voraussetzung für deren EU-Mitgliedschaft sei. Das Gesetz freilich, das heute im Parlament vorliegt, lehnt auch Chirac ab. Er hält es für „Polemik“. Und setzt die Initiative damit implizit in einen Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen im Mai. Da können ein paar hunderttausende Wählerstimmen das Ergebnis entscheidend beeinflussen.

Der Graben zwischen Befürwortern und Gegnern geht quer durch alle politischen Lager

Der Graben zwischen Befürwortern und Gegnern des Gesetzes geht quer durch alle politischen Lager Frankreichs. Doch bei der Abstimmung im Parlament werden viele Gegner voraussichtlich lieber abwesend sein, als dagegen zu stimmen. Daher ist der Ausgang völlig offen. Die französische Diplomatie, die gegen den Vorschlag ist, arbeitet bereits präventiv an der Schadensbegrenzung: Auch Außenminister Philippe Douste-Blazy steht in ständigem Kontakt mit seinem Kollegen in Ankara.

Die Drohungen des türkischen Regierungschefs Erdogan gegenüber der französischen Wirtschaft, es werde keine Großaufträge mehr an Frankreich geben, machen in Paris bislang wenig Eindruck. Dergleichen Druck machte Ankara auch 2001, als Paris den Genozid als solchen anerkannte. Doch für die bilateralen Geschäfte blieb das folgenlos.