EU-Abgeordnete kritisieren Paris

BRÜSSEL taz ■ In Brüssel hat das französische Gesetzesprojekt wenig Begeisterung ausgelöst. Erweiterungskommissar Olli Rehn warnte vor den Folgen für die Beziehungen zwischen EU und Türkei. „Ein solches Gesetz würde den Türken signalisieren, dass es nichts mehr zu besprechen gibt. „Hier habt ihr die endgültige Wahrheit. Solltet ihr sie leugnen, landet ihr im Gefängnis eines EU-Mitgliedsstaates“, sagte der finnische Kommissar.

Ähnlich urteilt der grüne Europaabgeordnete Cem Özdemir. „Etwas Besseres hätten sich die Falken in der Türkei und das Militär nicht wünschen können.“ Der offenen Debatte über die eigene Vergangenheit könnten sie nun ausweichen, indem sie die französische Algerienpolitik anprangerten oder die europäische Geschichte insgesamt unter die Lupe nähmen. Seine eigene Arbeit, die darauf ausgerichtet sei, die Erinnerungskultur in der Türkei zu stärken, werde enorm erschwert. „Vom französischen Elefanten werden zarte Ansätze einer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit kaputtgetreten. Ich habe das Gefühl, es steckt das Kalkül dahinter, die Türkei von der EU weg in die Arme Irans zu treiben.“

Bei den Vorbereitungen zur Parlamentswahl in Holland zeige sich der ganze Wahnsinn der Idee, sagt Özdemir. Von türkischstämmigen Kandidaten werde eine Erklärung zum Armeniermord verlangt. „Damit züchten wir einen Politikertyp heran, der in Holland öffentlich sagt, es sei Völkermord gewesen, und in der Türkei genau das Gegenteil.“ Sein holländischer Fraktionskollege Joost Lagendijk, der der türkisch-europäischen Parlamentsdelegation vorsteht, zweifelt die Genozid-These an. „Ich glaube durchaus, dass Hunderttausende auf grausame Weise umkamen, aber es war kein vorsätzlicher Versuch, ein Volk auszulöschen.“ Man könne nicht von der Türkei Meinungsfreiheit einfordern und sie gleichzeitig anderswo unter Strafe stellen.

Französische EU-Abgeordnete reagierten empört auf Lagendijks Ansichten. „Der Herr sollte einen Blick in die Geschichtsbücher werfen. Jeder weiß, dass es ein Genozid war“, sagte der konservative Abgeordnete Patrick Gaubert. Seine sozialistische Kollegin Martine Roure betonte den symbolischen Charakter des geplanten Gesetzes: „Es gibt auch ein französisches Gesetz, das die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt. Das bedeute aber nicht, dass dafür jemand ins Gefängnis wandert. Es handelt sich um eine moralische Abmahnung.“

DANIELA WEINGÄRTNER