Macht das Grundeinkommen faul?
JA

LEISTUNG 1.500 Euro für jeden und ein würdevolles Leben – das fordern 50.000 Menschen. Anfang November befasst sich der Petitionsausschuss des Bundestags mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Geht dann noch jemand arbeiten?

Die sonntaz-Frage wird vorab online gestellt. Immer Dienstagmittag. Wir wählen interessante LeserInnenantworten aus und drucken sie in der nächsten sonntaz.

taz.de/sonntazstreit

Hermann Otto Solms, 69, Vizepräsident des Bundestags und FDP-FinanzexperteIn Deutschland gibt es bereits ein Grundeinkommen. Dieses als „Hartz IV“ bekannte Grundeinkommen entstand aus der Zusammenführung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Es garantiert denjenigen, die gegenwärtig keinen Arbeitsplatz haben, ein existenzsicherndes Einkommen aus Steuergeldern. Als Hilfe zur Selbsthilfe muss der Sozialstaat es jedem ermöglichen, so weit er kann aus eigener Kraft ein selbstbestimmtes, unabhängiges Leben zu führen. Im Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens dagegen hat jeder – auch ohne Nachweis der Bedürftigkeit – Anspruch auf Zahlungen. Das birgt die Gefahr in sich, sich dauerhaft darin einzurichten, und könnte ein Anreiz zur Faulheit sein. Wer aber in der Lage ist, sich selbst zu helfen, sollte nicht vom Geld der steuerzahlenden Mitmenschen leben. Nur durch den Fleiß der Arbeitnehmer und die Risikobereitschaft der Unternehmer können wir den Sozialstaat finanzieren.

Carsten Schneider, 34, ist haushaltspolitischer Sprecher der SPD-BundestagsfraktionFaulheit ist die falsche Kategorie, es geht um verkehrte Anreize: Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen hätten die Bürgerinnen und Bürger weniger Grund, arbeiten zu gehen. Gerade unter Geringqualifizierten würde die Arbeitslosigkeit steigen, viele dürften sich mit dem Geld zufriedengeben. Wenn das Arbeitsangebot zurückgeht, schrumpft die Produktion. Die Folgen: niedrigere Gewinne, geringere Steuereinnahmen, höhere Preise. Und weniger Geld zur Finanzierung des Grundeinkommens. Statt Alimentierung durch den Grundlohn, sollte der Staat für gleiche Chancen sorgen: gute Kinderbetreuung, Schulen und Hochschulen, exzellente Weiterbildung, professionelle Jugendarbeit für alle. Wir brauchen einen Sozialstaat, der die Menschen ermutigt, ihr Leben aus eigener Kraft zu gestalten. Doch dafür stünde kein einziger Cent mehr zur Verfügung. Monatlich 1.500 Euro für 70 Millionen Erwachsene und 1.000 Euro für 11 Millionen Kinder – das wären 1.400 Milliarden Euro im Jahr! Unbezahlbar, unser gesamtes Volkseinkommen beträgt nur 1.800 Milliarden Euro jährlich.

Mario Ohoven, 64, ist Präsident des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft und Unternehmer

Freibier für alle – mit diesem Slogan war Ende der 90er Jahre eine Splitterpartei bei der Hamburger Bürgerschaftswahl angetreten. Die Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen steht in dieser geistigen Tradition. Ehrlicher wäre es, ein Grundrecht auf Faulheit zu postulieren. Das ist weder neu noch sonderlich originell. Paul Lafargue, Schwiegersohn von Karl Marx, hatte sich wenigstens bemüht, seine absurden Thesen philosophisch zu rechtfertigen. Die modernen Befürworter eines Rechts auf bezahltes Nichtstun kommen stattdessen mit abstrusen Argumenten wie einem würdevollen, selbstbetimmten Leben. Eine Alimentierung ohne Gegenleistung wäre der Tod jeglicher Innovation, Motivation und Produktivität in der Wirtschaft. Wer ein bedingungsloses Grundeinkommen will, muss den Dukatenesel mitliefern.

Philip Kovce, 24, studiert Business Economics und hat das Thema auf taz.de kommentiert

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde, unken Skeptiker, den Menschen zu einem untätigen Haustier verkommen lassen. Zweifellos würde eine derartige Existenzsicherung faul machen – aber ohne im Kern faul zu sein! Denn die Faulheit, die ein Grundeinkommen befördert, braucht ein Gemeinwesen, wenn es seine Bürger nicht gängeln, sondern zur Mündigkeit führen will. Ein Grundeinkommen, das nach Jahrtausenden das Recht der Muße den Privilegierten entreißt und demokratisiert, verwandelt die alte Faulheit zu neuer Empfänglichkeit – und ist damit vielen so ungeheuerlich!

NEIN

Dieter Althaus (CDU), 58, entwarf ein Modell des Grundeinkommens für seine Partei

Wir täuschen uns, wenn wir meinen, „die Leute“ würden nur arbeiten, wenn man sie dazu zwingt. Dass fast zwei Drittel der in Deutschland geleisteten Arbeitsstunden – etwa im Ehrenamt und in der Familie – nicht bezahlt werden, widerlegt die Unterstellung mangelnden Einsatzes eindrucksvoll. Die Frage, ab welcher Höhe eines Grundeinkommens die Erwerbsarbeit reduziert oder aufgegeben würde, lässt sich nicht statisch beantworten. Hier ist entscheidend, ob man die berufliche Tätigkeit gern ausübt und – durchaus legitim – was unter dem Strich übrig bleibt. Ich kann einerseits nachvollziehen, dass ein Transferentzug von bis zu 80 Prozent – wie beim ALG II – nicht unbedingt motiviert. Andererseits gibt es Verpflichtungen in der Familie oder im ehrenamtlichen Bereich, denen man gern nachginge, wenn das Existenzminimum gesichert ist. Ein Grundeinkommen macht nicht faul. Es fordert aber auch eine angemessene Bezahlung von Erwerbsarbeit und vernünftige Rahmenbedingungen. Sie darf nicht stärker mit Steuern und Abgaben belastet werden als Kapitalerträge.

Heinz-Jürgen Rothe, 63, ist Arbeits- psychologe an der Universität Potsdam

Studien besagen, dass etwa 20 Prozent der Personen die Füße hochlegen würden, hätten sie etwa durch eine Erbschaft ausgesorgt. 70–80 Prozent würden also weiter arbeiten. Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen (BGE) wären die Zahlen wahrscheinlich ähnlich. Denn für die Mehrheit der Leute ist Arbeit ein Grundbedürfnis, in unserem Kulturkreis definieren sich viele über ihren Beruf. Allerdings kann man die Diskussion nicht von den Werten in der Gesellschaft losgelöst betrachten. Das Finanzamt auszutricksen oder schwarz zu arbeiten, wird von vielen für legitim gehalten. Mit dem BGE würde sich die Schwarzarbeit also in hohem Maße ausweiten. Deswegen muss sich zunächst die Haltung breiter Schichten der Bevölkerung ändern. Gegenwärtig ist ein BGE also nicht sinnvoll. Es ist Utopie, wie der Sozialismus auch.

Claudia Haarmann, 40, koordiniert ein Grundeinkommen-Projekt in Namibia

In dem Dorf Otjivero wurde ab Januar 2008 weltweit zum ersten Mal ein Grundeinkommen ausgezahlt. Für einen Zeitraum von 2 Jahren haben 1.000 Leute jeden Monat 9 Euro bekommen, ohne Bedingungen. Die Ergebnisse: Unterernährung von Kindern wurde drastisch von 42 auf 10 Prozent reduziert, Schule und Krankenhaus erhielten ihre Gebühren und verbesserten ihr Angebot, die Armutskriminalität sank. Die Einwohner bauten Geschäfte auf. Monopole, wie der einzige Farmshop, wurden aufgebrochen, und es gab Kaufkraft, aber auch Investitionskapital für Kleinstunternehmer. Einnahmen durch Arbeit stiegen um 30 Prozent. Auf Deutschland ist das sicherlich nicht eins zu eins übertragbar. Allerdings geht es beim Grundeinkommen oft ums Prinzip. Es ist keine Garantie, dass alles Geld richtig genutzt wird, aber eine Grundlage, um Teilnahme an Ökonomie und Gesellschaft zu ermöglichen.

Helga Breuninger, 63, will mit der Breuninger Stiftung das Grundeinkommen testen

Ich bin davon überzeugt, dass Menschen arbeiten wollen. Sie definieren sich über ihre Tätigkeiten, und je sinnstiftender diese sind, umso erfüllter und glücklicher sind sie. Dabei ist Arbeit weit mehr als Erwerbsarbeit. Ein gesichertes Grundeinkommen befreit von Existenzangst, setzt schöpferisches Potenzial frei und stärkt die Verantwortungsbereitschaft. Leider gibt es dazu kaum praktische Erfahrungen. Deshalb planen wir ein Grundeinkommen-Projekt in Deutschland, das sich „100 mal Neues Leben“ nennt. Wir wollen zeigen, dass die meisten Menschen sinnvoll tätig werden – auch wenn sie davon keinen finanziellen Vorteil haben.