Mit Verboten gegen Moskaus Propaganda

MEDIEN Lettland und Litauen werfen russische TV-Sender aus dem Kabelnetz. Estland dagegen will ein europäisches Medienangebot auf Russisch aufbauen

Über Satellit oder im Internet kann weiter russisches Fernsehen empfangen werden

STOCKHOLM taz | In Lettland ist seit Dienstag auf dem Kabelsendeplatz von Rossija RTR nur noch ein schwarzer Schirm zu sehen. Die lettische „Kommission für elektronische Massenmedien“ hat über den TV-Sender, der zum internationalen Service des staatseigenen russischen Fernsehens und Rundfunks VGTRK gehört, ein dreimonatiges Ausstrahlungsverbot verhängt.

Die Begründung (englisch auf http://www.neplpadome.lv/en/assets/documents/anglu/NEMC%20Decision%20Nr%20%2095.docx): Die Berichterstattung des Senders vor allem im Bezug auf die Vorgänge in der Ukraine hätte in den letzten Wochen teilweise propagandistische Züge gehabt – und das könne negative Auswirkungen auf die nationale Sicherheit Lettlands haben. Damit verstoße Rossija RTR gegen entsprechende Bestimmungen des Mediengesetzes, was ein zeitweises Ausstrahlungsverbot rechtfertige.

Damit folgt Lettland einer ähnlichen Entscheidung der „Radio- und Fernsehkommission“ im benachbarten Litauen, die ein Ausstrahlungsverbot über Teile des Programms des VGTRK-Schwestersenders RTR Planeta für ebenfalls drei Monate verhängt hatte. Ein Gericht in Vilnius segnete die Entscheidung am Montag ab. Auch das lettische Verbot könnte noch gerichtlich angefochten werden.

Die Maßnahmen waren in beiden Ländern von einer Reihe von Politikern und den Staatsschutzbehörden gefordert worden. Die russischsprachigen Minderheiten – in Litauen 6, in Lettland 26 Prozent der Bevölkerung –, für die diese Sender eine wichtige Informationsquelle seien, könnten „aufgehetzt“ werden von Sendungen, in denen eine militärische Aggression gegen einen souveränen Staat – die Ukraine – gerechtfertigt werde. Außerdem sei in einigen Programmen „ethnischer Hass“ verbreitet worden.

In Estland, in dem über ein Viertel der Bevölkerung russischstämmig ist, will man dem Beispiel der baltischen Nachbarstaaten ausdrücklich nicht folgen. Ein Sprecher des Verfassungsschutzes erklärte am Sonntag gegenüber der Tageszeitung Õhtuleht, ein solches Verbot sei nicht geeignet, russische Propaganda zu stoppen, da die Sender ja weiterhin über Satellit oder im Internet empfangen werden könnten. Auch gebe es keine speziell gegen Estland gerichteten Aktivitäten, sondern es sei lediglich „die übliche alte Propaganda, bei der glatte Lügen mit Halbwahrheiten vermischt werden“.

Auch PolitikerInnen verschiedener estnischer Parteien machten klar, dass sie ein Verbot für den falschen Weg halten – und für nicht erforderlich. „Dann müssten wir als Nächstes die Axt bei Facebook und Twitter ansetzen“, meint die Abgeordnete der linken Zentrumspartei Yana Toom. Und der Exjustizminister Kristen Michal von der liberalen Reformpartei schlägt vor, man solle der russischsprachigen Bevölkerung in den baltischen Staaten lieber ein attraktives Medienangebot machen, damit diese nicht mehr auf die Staatssender Russlands angewiesen seien, wenn sie sich in ihrer Muttersprache informieren wollten. Einen panbaltischen Kanal in russischer Sprache – eventuell unter Einschluss Finnlands, wo die russische Bevölkerungsgruppe seit einiger Zeit schnell wächst – fordern mehrere Politiker und Medienleute schon länger.

„Mit solcher Konkurrenz, braucht niemand mehr russische Sender abzuschalten“, meint etwa der liberale Michal. Zudem würde man Moskau damit die Gelegenheit nehmen, Ausstrahlungsverbote für Propagandazwecke auszuschlachten. Tatsächlich hat ein Sprecher des Außenministeriums in Moskau Riga und Vilnius wegen der Sendeverbote umgehend Zensur und Verletzung der Menschenrechte der russischstämmigen Bevölkerung vorgeworfen.

Litauen hatte im vergangenen Jahr bereits einmal gegen den aus Kaliningrad sendenden russischsprachigen Sender First Baltic Channel ein Ausstrahlungsverbot verhängt – mit der Begründung, dieser habe in einer Dokumentation die Geschichte grob verfälscht. Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, warf Vilnius damals einen möglichen Verstoß gegen die Pressefreiheit vor (http://www.osce.org/fom/106895). REINHARD WOLFF