Schock gelungen

Nordkoreas Diktator Kim Jong Il liebt offenbar die dreiste Provokation. Diesmal droht auch von China Ungemach

AUS WASHINGTON UND PEKING ADRIENNE WOLTERSDORF
UND GEORG BLUME

Seit der Amtseinführung von Präsident George Bush im Januar 2001 beruhte die amerikanische Nordkorea-Diplomatie auf zwei Grundüberzeugungen. Erstens: Die westliche Welt sollte nicht mit solch „bösen“ Akteuren wie Kim Jong Il reden. Man könne ihnen nicht trauen und jeder Kontakt stärke sie. Die Tatsache, dass die US-Regierung von Bill Clinton mit ihnen sprach, bestärkt diese Haltung nur. Zweitens: Ein Regime wie das Nordkoreanische sei mit einer Isolationspolitik leicht zu kippen.

Beide Annahmen bezeichnen renommierte Außenpolitikexperten wie Ivo Daalder von der Washingtoner Brookings-Institution als „grundfalsch“. Während Clinton aus Angst, das international isolierte Land werde damit beginnen, waffenfähiges Material für eine Atombombe zu produzieren, „Teamgeist“ in Kombination mit demonstrativem Muskelspiel (durch Militärübungen in Südkorea) verordnete, sprach die Bush-Administration umgehend von Isolation. Auf Clintons Doppelstrategie reagierte der Norden schließlich mit dem Einfrieren seiner Plutoniumproduktion. In den Amtszeiten von Bush senior, der die gleiche Taktik anwandte wie Bush junior, hat der Norden allerdings ausreichend waffenfähiges Material für schätzungsweise 6 bis 10 Atombomben produziert.

Während Clinton den Nordkoreanern einen das Gesicht wahrenden Tauschhandel angeboten hatte, nämlich dass Nordkorea im Atomwaffensperrvertrag bleibt und sich die USA dafür nicht für Sanktionen einsetzen werden, setzte die Bush-Regierung von Beginn an auf Sanktionen. Als Pjöngjang im Oktober 2001 zugab, über ein aktives Atomprogramm (Sanger 1) zu verfügen, lief einen Monat später das letzte Ölschiff gen Nordkorea aus. Die Beziehungen kühlten sich rapide ab, bis sie 2005 den Gefrierpunkt erreichten. Dass Washington den zum Teil fragwürdigen Devisenbeschaffungsstrategien Pjöngjangs in Macau ein Ende bereitete, interpretierte Nordkorea dann sogar als Rückkehr zur „feindlichen Politik“.

Seitdem ist nichts mehr passiert, was die sogenannten Sechsparteiengespräche – Südkorea, USA, China, Japan und Russland verhandeln seit August 2003 auf Initiative Pekings mit Nordkorea – mit dem unberechenbaren Regime in Pjöngjang wieder in Schwung hätte bringen können. Und mit dem gestrigen Atomtest können die Bemühungen für gescheitert erklärt werden. Das erklärte Ziel eines atomwaffenfreien Korea haben die sechs aufgrund des offenbar erfolgreichen nordkoreanischen Atomtests vorerst verfehlt. Dennoch hatten die mühsamen Verhandlungen der letzten Jahre gestern eine erstaunliche Nebenwirkung: Erstmals schienen sich zumindest 5 der 6 Länder in der Sache rundum einig. Wie im Chor verurteilten die Regierungen in Washington, Peking, Tokio, Seoul und Moskau Nordkoreas Vorgehen. Vor allem die harsche Reaktion in Peking zeugte von einer diplomatischen Einheitsfront gegen Pjöngjang, die vor wenigen Jahren noch unvorstellbar war.

„Am schwersten betroffen sind die Beziehungen zwischen China und Nordkorea. Würde China jetzt ein atomares Korea akzeptieren, entstünden viele Probleme. Bleibt China aber bei seiner bisherigen Position einer atomwaffenfreien koreanischen Halbinsel, dann muss es die Konfrontation mit Pjöngjang suchen“, kommentierte Yan Xuetong, Leiter des Instituts für Internationale Studien der Tsinghua-Universität in Peking.

Offenbar hat sich China für die Konfrontation entschieden. Das Pekinger Außenministerium sprach von einem „dreisten und schändlichen“ Vorgehen Nordkoreas, dass die chinesische Regierung entschieden ablehne. Ähnlich äußerte sich der südkoreanische Präsident Roh Moo Hyun, der ein Ende seiner Entspannungspolitik gegenüber Nordkorea nicht mehr ausschloss. „Unsere Politik hat sich als uneffektiv erwiesen“, sagte Roh. Er traf sich gestern in Seoul mit dem japanischen Premierminister Shinzo Abe, der den Atomtest „unverzeihlich“ nannte und als Gegenmaßnahme ankündigte, was in der Region alle befürchten: nämlich einen Rüstungswettlauf. Konkret sprach Abe vom nunmehr notwenigen Ausbau der US-japanischen Raketenabwehr.

Doch genau in der Gefahr eines Rüstungswettlaufs liegt auch der Ansporn für Washington, Peking, Seoul und Tokio, ihr diplomatisches Bündnis gegen Nordkorea jetzt nicht auseinanderbrechen zu lassen. Wie wichtig den USA und China dieses Bündnis heute ist, zeigte zuletzt die von beiden Mächten gemeinsam betriebene Nominierung des Südkoreaners Ban Ki Moon zum künftigen UN-Generalsekretär. Ban gilt als Garant für eine koordinierte Nordkoreapolitik Pekings und Washingtons. Wahrscheinlich ist deshalb auch eine rasche Entscheidung des UN-Sicherheitsrats für Sanktionen gegen Nordkorea. Peking, das solche Maßnahmen bislang immer blockierte, wird sich dem kaum mehr widersetzen.

Damit aber wird neben den neu entstehenden atomaren Ängsten in der Region auch der stabilisierende Faktor des nordkoreanischen Alleingangs deutlich: Er zwingt die USA und China zum Zusammenrücken, um weitere militärische Abenteuer in Nordkorea und irrationale Reaktionen in Japan zu verhindern. Zwar haben sowohl Chinesen als auch Amerikaner mit ihren Nordkorea-Strategien versagt. Doch lautet das Ergebnis: Peking und Washington haben wieder einen gemeinsamen Feind. Im Zweiten Weltkrieg hieß dieser Japan, heute Nordkorea.