Grinsen mit gebleckten Zähnen

Spots auf Mao-Plakate, Pokerface-Kader und namenlose Töchter: Gemälde, Skulpturen und Installationen aus der Sammlung Sigg, der europaweit größten mit chinesischer Gegenwartskunst, sind derzeit in der Hamburger Kunsthalle zu sehen

Was interessiert den Westeuropäer an China? Die Menschenmassen? Die rasante Urbanisierung? Die Schwindel erregende Wirtschaftskraft? Und was wünscht er zu sehen, der Besucher einer Ausstellung zeitgenössischer chinesischer Kunst, wie sie derzeit in der Hamburger Kunsthalle präsentiert wird?

Schwer zu sagen, ob man die Erwartung nach Chinoiserien erfüllt oder widerlegt sehen will: Möchte man wirklich so viele Mao-Propaganda-Poster sehen, wie sie der Schweizer Kunstsammler Uli Sigg präsentiert? Der sagt: Ja, denn dies dient dem Verständnis des heutigen China, sprich, der Tatsache, dass die Mao-Ära noch nicht lange zurückliegt. Auch das Massaker auf dem Tiananmen-Platz nicht.

Doch all dies wusste man schon. Auch dass Chinas Kunst formal im Westen angekommen ist. Neu ist die Erkenntnis, mit welchem Tempo Chinas Künstler seit Ende der Kulturrevolution die verpassten Stilrichtungen durchdeklinierten. Die meisten sind pragmatisch geblieben und haben sich dem „zynischen Realismus“ verschrieben. Markantes Beispiel: die vier Lachenden, die Geng Jianyi schuf, nachdem die Kunstakademie die zuvor eingereichten Gesichter als zu negativ beanstandet hatte.

Abstraktion ist nicht Sache des hier Gezeigten: Sogar Qiu Shihuas weiße Gemälde scheinen nur monochrom. In Wirklichkeit sind es übermalte Landschaften; nach und nach entdeckt man Konturen von Bergen und Bäumen. Der Künstler vernebelt hier ganz konkret Tradition. Andere gehen weiter: Als Entweihung der Landschaftsmalerei sind die Gebirgsfotos gedacht, in die Dong Wensheng ein nacktes Paar gesetzt hat. Das Landschafts-Tattoo auf einer Männerbrust dagegen wirkt so plakativ, als habe der Künstler auf den West-Betrachter geschielt.

Westliche Klischees bedienen auch die Schriftzeichen, die chinesisch wirken, in Wirklichkeit aber frei erfunden sind. Ein Spiel – doch Tradition kann auch erdrücken: Mit Kalligraphien seiner Familiengeschichte hat Zhang Huan sein Gesicht übermalt; auf dem letzten Bild der Serie ist sein Kopf komplett geschwärzt. Wo bleibt das Individuum hinter all dem? Und wie verbinden sich alte Hochkultur und Modernisierung? Ai Weiweis Antwort: 132 neolithische Vasen, einige davon mit weißer Industriefarbe überzogen; Industrialisierung übertüncht alles, aber der Lack blättert ab. Ungeplant, was dem Künstler recht ist: Die Tradition überlebt – auch wenn die Moderne versucht, sie ungesehen zu machen. In rasantem Tempo, wie Weng Fens Fotos zeigen: Ratlos sitzt ein Mädchen auf einer Mauer und schaut in die Wolkenkratzer.

Fast idyllisch wirken dagegen die Mädchenfotos gleich gegenüber. Was man hierzu wissen muss: Die Ein-Kind-Politik funktioniert nicht. Doch die Überzähligen – oftmals sind es die Töchter – existieren offiziell nicht. Sie werden nicht registriert, sie gehen nicht zur Schule. Ein Spot auf die Zerrissenheit der chinesischen Gesellschaft, wie sie diese Schau selten bietet. Die Frage nach der Freiheit des Individuums in einer durch Staat und Familie reglementierten Gesellschaft zählt hier dabei zu den interessantesten. Eine Armee Grinsender hat etwa Yue Min Jun aufgestellt; grellbunt konterkariert er neben dem Optimismus kommunistischer Propaganda auch das Pokerface-Lächeln, das in Diktaturen überleben hilft.

Bliebe noch die Konsumismus-Kritik – ein postsozialistisches Phänomen und insofern zu erwarten; als Mix aus Propaganda und Werbung trotzdem erhellend. Auch angesichts der Tatsache, dass Künstler aus der ehemaligen DDR dies nach der Wiedervereinigung kaum thematisiert haben. Denn wer sagt, dass die Diktatur des Staates durch die des Konsums abgelöst wurde, läuft Gefahr, als gestrig zu gelten. PETRA SCHELLEN

„Mahjong“: bis 18. 2. in der Hamburger Kunsthalle