Fehlende Gefühle und das falsche Narrativ der EU

Die EU wird politisch und wirtschaftlich als Union begriffen, doch ist sie auch unsere Heimat?

Heimat wird häufig als Gegenbild zur EU verstanden. Es ist der überschaubare Ort, an dem wir sicher zu sein glauben, weil wir ihn kennen, die EU hingegen ein immer größer und komplizierter werdendes Gebilde, das wir nicht kennen und nicht kennen lernen wollen. Wenn wir reisen, reisen wir durch die Fremde. Von allen anderen Ländern grenzen wir uns traditionell ab. Die EU sind „die in Brüssel“, nicht wir.

Die EU will entweder zu viel von uns – oder gibt zu wenig. Kaum einer fühlt sich als Europäer oder gar als EU-Bürger. Die Irrationalität einer sogenannten nationalen Identität wird zudem von Medien und Politik verteidigt. Wie kann die EU da eine Heimat werden – und soll sie das überhaupt? Darüber diskutiert taz-Chefreporter Peter Unfried mit dem Grünen Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter, der Linkspartei-Chefin Katja Kipping und Berthold Franke, der lange Zeit Leiter des Goethe-Instituts in Brüssel war.

Franke will, dass damit aufgehört wird, die EU als Werkzeug zu propagieren, um schwindende wirtschaftliche und geopolitische Potenz zu verhindern. Er fordert ein Narrativ, das das unvermeidliche „Kleinerwerden“ positiv formulieren kann – als Weg zu einer humanen Zukunft. Linksparteichefin Kipping sagt: „Antieuropäischem Ressentiment, das sich auf nationale Identität beruft, lässt sich keine europäische Identität entgegenstellen. Identität hat man nicht, Identitäten werden im alltäglichen Handeln und Erfahren hergestellt.“ Die Identifikation mit offenen Binnengrenzen funktioniere erst, „wenn man das Auslandsjahr in der Oberstufe auch bezahlen kann“.

Für die EU wird fast ausschließlich geopolitisch und wirtschaftlich argumentiert. Letztlich auch wieder über Abgrenzung. Verhindert das ein gemeinsames Gefühl oder sind diese sozialpsychologischen Bedürfnisse so hoch, dass man ihnen nicht entkommen kann? Wie könnte in einer Zeit steigender antieuropäischer Stimmung eine politische und kulturelle Identität aussehen, die das Gemeinsame betont, gemeinsame Ziel formuliert, aber auch benennt, was es zu bewahren gilt? Die EU als vergleichsweise freie, aufgeklärte und sozial gerechte Gesellschaft. PETER UNFRIED

■ 17.30 Uhr, Zelt 2, „Warum ist die EU nicht unsere Heimat?“