Lehrer wollen nicht an Hauptschulen gehen

16.000 Lehrer fehlen laut Philologenverband an den Schulen. Besonders unbeliebt sind Haupt- und Berufsschulen

BERLIN taz ■ Der Deutsche Philologenverband (DPhV) hat anlässlich des heutigen Weltlehrertags davor gewarnt, den Lehrermangel an deutschen Schulen zu verharmlosen. Verbandschef Hans-Peter Meidinger sagte der taz, dass das Problem schon heute in einigen Bundesländern zu spüren sei – beispielsweise in Bayern oder Nordrhein-Westfalen.

Der Lehrerverband schätzt, dass allein im laufenden Schuljahr bis zu 16.000 Stellen nicht von ausgebildeten Pädagogen besetzt werden können – im Vorjahr waren es noch 10.000 Stellen. Jede Woche fallen deshalb an deutschen Schulen eine Million Unterrichtsstunden ersatzlos aus. Meidinger beruft sich auf Umfragen, die sein Verband zu Beginn des Schuljahres in allen Bundesländern gemacht hat.

Bis 2015 sollen nach Angaben des Philologenverbands bis zu 80.000 Lehrer fehlen, weil jeder zweite der heute Beschäftigten sich dann in den Ruhestand verabschiedet hat. Die Kultusminister der Bundesländer gehen von insgesamt 75.000 fehlenden Stellen aus.

Besonders betroffen sind nach Angaben des Lehrerverbands Schüler von Haupt- und Realschulen sowie der berufsbildenden Schulen. Zu wenige Fachkräfte gebe es dort für Naturwissenschaften, Mathematik, Englisch und Musik; an den Berufsschulen fehlten insbesondere Lehrer für Wirtschaft, Verwaltung und Informatik. Meidinger plädiert deshalb dafür, den Beruf des Lehrers für Schulabgänger attraktiver zu machen.

Ulrich Thöne, Chef der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), warnt hingegen vor „Panikmache“, die nicht weiterhelfe. Seriöse Zahlen zum Lehrermangel gebe es derzeit nicht. Im November will die Bildungsgewerkschaft mit einer eigenen, „fundierten“ Studie auf die Situation an deutschen Schulen hinweisen. Zumindest sind sich beide Verbände einig, dass es zu wenig Lehrer gibt.

So gar nicht ins Bild passen da die Aussagen von Klaus Klemm, Bildungsforscher an der Universität Essen. Die prognostizierten Zahlen für das Jahr 2015 nennt er „Horrorzahlen“. Der zu Jahresbeginn veröffentlichte Arbeitsmarktbericht der Essener Arbeitsgruppe „Bildungsforschung/Bildungsplanung“ kommt zu dem Urteil, dass 2015 voraussichtlich gar kein Lehrermangel bestehe. Weil die Bundesländer weniger Lehrer einstellten und viele Lehrer wegen der im Bundesbeamtengesetz festgelegten Pensionsminderungen länger arbeiten, komme es möglicherweise sogar zu einem „Lehrerüberschuss“, sagt Klemm.

Allerdings weisen auch die Wissenschaftler der Arbeitsgruppe „Bildungsforschung/Bildungsplanung“ daraufhin, dass es zu wenig Lehrer für Haupt- und Berufsschulen gebe. Während sich ein ganzes Heer von Hochschulabsolventen um die wenigen offene Stellen an Gymnasien und Grundschulen streitet, machten die Studenten um die weit weniger prestigeträchtigen Haupt- und Berufsschulen einen großen Bogen. „Viele Abiturienten hören, es werden Lehrer gesucht, und machen dann den Fehler, Germanistik fürs Gymnasium zu studieren“, sagt Klemm. Nordrhein-Westfalen beispielsweise rechnet bis 2020 mit 20.000 arbeitslosen Gymnasiallehrern. So kommt es möglicherweise zu Lehrerarbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Lehrermangel.

CHRISTIAN PANSTER