Schüsse statt Koalitionsverhandlungen

Der Machtkampf innerhalb der Palästinenser spitzt sich zu: Mutmaßliche Fatah-Anhänger ermorden Hamas-Aktivisten, der Dialog über eine gemeinsame Regierung ist ausgesetzt. US-Außenministerin Rice will Präsident Mahmut Abbas stärken

AUS JERUSALEM SUSANNE KNAUL

Große Sympathie genießt Condoleeza Rice bei den Palästinensern nicht. Mit Skepsis bis offener Ablehnung beobachteten die Menschen in Ramallah gestern den Besuch der US-Außenministerin bei Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, im Schatten der heftigsten innerpalästinensischen Auseinandersetzungen seit dem Wahlsieg der Hamas.

Noch am Morgen erschossen drei maskierte Palästinenser, die vermutlich der Fatah angehören, einen führenden Aktivisten der Hamas nordwestlich von Ramallah. Im Gaza-Streifen stürmten bewaffnete Maskierte die Zentrale des größten palästinensischen Mobiltelefon-Unternehmens Jawal. Seit Beginn der Auseinandersetzungen zwischen Hamas und Fatah am Sonntag starben 13 Menschen, über 150 wurden verletzt.

Auslöser der Unruhen waren Proteste von Mitarbeitern der Palästinensischen Autonomiebehörde, die seit März praktisch keine Gehälter mehr beziehen. Die angespannte Atmosphäre wurde zudem von den bislang ergebnislosen Koalitionsverhandlungen zwischen Abbas (Fatah) und Premierminister Ismael Hanijeh (Hamas) angeheizt.

„Die Lage ist sehr gefährlich“, meinte der palästinensische Menschenrechtsaktivist Mustafa Barghuti vor seinem Treffen mit Rice. „Die USA müssen Druck auf Israel machen, damit die palästinensischen Steuergelder freigegeben werden“, erklärte Barghuti auf telefonische Anfrage. Die seit Anfang des Jahres von Israel zurückgehaltenen Gelder belaufen sich inzwischen auf rund 500 Millionen Dollar. Außerdem müsse, so Barghuti, „ein echter Friedensprozess mit Abu Masen (Abbas) in Gang gebracht werden“.

Der letzte Versuch, die zerstrittenen palästinensischen Fraktionen noch zu einer Einigung zu bewegen, ist der so genannte Qatar-Plan, nach dem die künftige Regierung der Nationalen Einheit die internationalen Bedingungen – Abkehr von der Gewalt und Anerkennung des Staates Israel – anerkennen würde. Außerdem solle der Ende Juni entführte israelische Soldat im Rahmen eines Gefangenenaustausches wieder auf freien Fuß kommen. Abbas stimmte dem Plan zu und auch aus den Reihen der Hamas kamen positive Signale. Dessen ungeachtet erklärte Abbas im Verlauf einer Pressekonferenz, dass derzeit kein Dialog stattfinde. Alle weiteren Verhandlungen „müssen bei Null wieder aufgenommen werden“.

Der Besuch der US-Außenministerin gilt vor allem einer Stärkung des Palästinenserpräsidenten, vermutlich auch mit Blick auf mögliche Neuwahlen in den Palästinensergebieten. Jüngsten Umfragen zufolge gewinnt die Fatah wieder an Sympathie im Volk. Nach Ansicht des ehemaligen Mossad-Chefs Efraim Halevy sei es an Israel, Abbas den Rücken zu stärken. Dazu müssten die eingefrorenen Steuergelder „über das Büro des Palästinenserpräsidenten geleitet werden“, erklärte Halevy gegenüber der „Stimme Israels“. Er rät außerdem dazu, „Verhandlungen über einen Gefangenenaustausch aufzunehmen“. Nach Auskunft des ägyptischen Außenministers Achmed Abdul Gheit lehnte die Hamas das israelische Angebot ab, 1.000 Häftlinge für den entführten Soldaten zu tauschen.

Der Ex-Mossad-Chef warnt ferner vor einer fortgesetzten Isolierung der Palästinensergebiete und appelliert, die Übergänge vor allem zum Gaza-Streifen erneut zu öffnen. Die Ha’aretz-Reporterin Amira Hass kommentierte gestern die jüngsten Ausschreitungen als „gelungenes Experiment“. Die Palästinenser „töten sich gegenseitig“, das musste passieren, wenn man „auf engstem Raum 1,3 Millionen Menschen wie in eine moderne Hühnerbatterie sperrt“.