Senator ohne großen Wurf

STRAFVOLLZUG Der Hamburger Justizsenator Till Steffen (GAL) verteidigt seine Politik vor liberalen Anwälten. Großer Streitpunkt ist das neue Gesetz zur Sicherungsverwahrung

Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) rügte im Dezember 2009 in einem Urteil Teile der deutschen Praxis der nachträglichen Sicherungsverwahrung.

■ Der Grund: Manche Straftäter in Deutschland sitzen bereits länger als zehn Jahre in nachträglicher Sicherungsverwahrung, obwohl die Höchstdauer zum Zeitpunkt ihrer Straftat auf zehn Jahre beschränkt war. Die Beschränkung auf zehn Jahre gilt in Deutschland inzwischen nicht mehr.

■ Für jene sogenannten „Altfälle“ müsse sie aber weiterhin gelten, urteilte der EGMR. Dies folge aus dem Grundsatz „Keine Strafe ohne vorheriges Gesetz“. Nun müssen bundesweit etwa 80 Männer aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden, obwohl Gutachter sie weiterhin als gefährlich einstufen.

■ In Hamburg betrifft das Urteil 15 Männer – also mehr als die Hälfte von insgesamt 26 Straftätern, die in Sicherungsverwahrung oder im Maßregelvollzug in einer geschlossenen Klinik untergebracht sind. Der erste der 15 soll im Dezember 2010 entlassen werden.

■ Psychiatrisch oder psychotherapeutisch betreut werden derzeit nur neun von diesen 15 Männern. Die übrigen sechs haben auch keine Sozialtherapie durchlaufen. Nur acht haben eine Berufsausbildung, die nach ihrer Entlassung eine Integration in das Arbeitsleben ermöglicht. RST

VON RONEN STEINKE

Wer kaum Freunde im Saal hat, kann es ja mal mit gemeinsamen Feinden versuchen: „Das Bundesverfassungsgericht wird mit diesem neuen Gesetz seine Freude haben“, sagt Till Steffen. Er meint den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Sicherungsverwahrung.

Steffen, Hamburgs grüner Justizsenator, ist auf Einladung des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte-Vereins sowie des Arbeitskreises Kritischer Juristen in die Universität Hamburg gekommen. Auf der Podiumsdiskussion unter dem Titel „Menschenrechtswidrige Sicherungsverwahrung?“ soll es auch um Steffens mangelndes Engagement für die Therapierung gefährlicher Straftäter gehen, das ihm Fachleute vorhalten. Just an diesem Tag hat die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf vorgelegt. So kann Steffen zunächst einmal nach Berlin keilen.

Der Entwurf der Bundesregierung ist sehr darauf bedacht, die Verwahrung von gefährlichen Häftlingen nicht als Strafe, sondern „nur“ als Maßnahme zur Gefahrenabwehr zu beschreiben. Die ist nämlich Sache der Länder. Sie sollen neue Einrichtungen schaffen, die sich ganz auf die Therapierung gefährlicher Straftäter konzentrieren.

Mit der Umsetzung will Steffen erst einmal abwarten. Daraus muss man nicht gleich schließen, dass den Senator die drängenden Probleme des Strafvollzugs nicht aus der Ruhe brächten. Inwiefern er auf diesem Feld, das seinen konservativen Amtsvorgängern wie kein zweites zur Profilierung diente, eine eigene politische Linie entwickelt, lässt sich an diesem Abend in der Uni aber tatsächlich gut studieren.

Auf dem Podium ruft der Berliner Rechtsanwalt Sebastian Scharmer die wenigen Statistiken in Erinnerung, die es zu den Rückfällen von Sicherungsverwahrten gibt. Diese zeigten: Prognosen über die Gefährlichkeit der Häftlinge seien nur in den seltensten Fällen verlässlich, die meisten seien weit überzogen. Trotzdem erlaube es die 1933 eingeführte Sicherungsverwahrung, Gefangene auf der Basis von Prognosen fristlos in Haft zu behalten. Die Praxis der Sicherungsverwahrung müsse ganz aufhören, fordert Scharmer – und erlaubt sich den Hinweis, dass dies auch die Grünen einst so sahen. An diesem Abend ist der grüne Senator dann allerdings der Einzige, der die Sicherungsverwahrung verteidigt.

Wenn Anke Pörksen vom Arbeitskreis Sozialdemokratischer Juristen eine Strafpolitik kritisiert, die sich von irrationalen Ängsten leiten lasse, antwortet der Senator: „Ich fand das sehr gut, wie Sie das Spannungsfeld beschrieben haben.“ Ängste der Bevölkerung müsse man ernst nehmen, so Steffen. „So muss man die Debatte führen, wenn man sie in der Öffentlichkeit bestehen will.“

Mit verbundenen Augen könnte man den grünen Justizsenator Till Steffen auch für einen Schwarzen halten, sagen Konservative. Er hat Hamburgs Justizpolitik vor allem wieder in ruhigere Bahnen gelenkt

Die Bundesregierung will daran festhalten, dass Sicherungsverwahrung auch nach bloßen Eigentumsdelikten möglich ist. Die Kritik hieran teilt Steffen, „auch aus dem finanziellen Interesse der Länder“. Und der Linken-Abgeordneten Christiane Schneider, die zuletzt mit einer parlamentarischen Anfrage aufgedeckt hat, wie konzeptlos die Therapierung von Sicherungsverwahrten in Hamburg derzeit abläuft, dankt Steffen für die ihm gegebene Gelegenheit „Defizite transparent zu machen“.

Politische Niederlagen von der Größenordnung eines nicht verhinderten Kohlekraftwerks oder einer aus der Spur gekippten Schulreform sind aus Steffens Haus zwar bislang nicht zu vermelden gewesen – den großen Wurf hat er allerdings in der ersten Hälfte dieser Legislaturperiode auch nicht versucht. Von Steffen, der im Jahr 2004 mit einer Studie zum europäischen Umweltrecht promoviert wurde, kennt man eher die kleinen, die ungefährlichen Vorschläge: für effektivere Datenschutzgesetze; für eine stärkere Selbstverwaltung der Richterschaft. Da klingt es schon fast gewagt, wenn der 37-Jährige als Vorsitzender der Justizministerkonferenz eine gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten fordert.

Lob hört man, wenn auch hinter vorgehaltener Hand, vor allem in Hamburgs CDU: Mit verbundenen Augen könne man den Grünen ja auch für einen Schwarzen halten. Einen moderaten natürlich. Einen, der Hamburgs Justizpolitik nach Jahren rechter Ausreißer endlich wieder in ruhigere Bahnen gelenkt hat.